Sechs Richtige (German Edition)
sagte sie. «Ich hab letztens schon mit Sophia drüber gesprochen. Hör gut zu. Das könnte unsere Rettung sein, auch wenn ich damals noch gar nicht wusste, dass wir eventuell von hier wegmüssen.»
«Ihr könnt von mir aus noch drei Millionen Argumente auf den Tisch legen. Ich bleibe bei nein.» Hanno Prönkel versuchte, ruhig zu bleiben, aber am liebsten hätte er rumgebrüllt. Seine beiden großen Töchter waren unmöglich. Hanno rechnete kurz nach, wie lange es noch dauern würde, bis sie volljährig sein würden. Vier Jahre hatte er insgesamt noch vor sich. Wären die beiden doch bloß so unkompliziert wie ihre kleine Schwester. Die 8 -jährige Lilly brauchte nur Nutella und ein Sachbuch, einen Reiseführer oder ein Lexikon, um glücklich zu sein.
«Wenn ihr uns das nicht erlaubt, trete ich in den Hungerstreik.» Vanessa belegte ihr Brot schon mal vorsorglich mit fünf Scheiben Schinken.
«Der würde bei dir ungefähr eine halbe Stunde dauern», sagte Jan. «Du bist doch so verfressen wie sonst niemand. Wenn du so weitermachst, wirst du es nie zu einem Casting für diese bescheuerte Modelshow schaffen.»
Vanessa sowie Antonia träumten davon, einmal bei
Germany’s Next Topmodel
mitmachen zu können. Leider mussten sie noch ein beziehungsweise zwei Jahre warten. Man durfte dort erst mitmachen, wenn man 16 war oder die Einverständniserklärung der Eltern vorzeigen konnte, sollte man jünger sein. Ihre spießigen Eltern gaben die ihnen natürlich nicht. Astrid und Hanno fanden diese Show furchtbar. Aber Antonia und Sophia hatten sogar beschlossen, sich dort gemeinsam zu bewerben – sobald das eben möglich war.
Sophia war von der Idee, Model zu werden, noch besessener als alle anderen. Sie hatte schon heimlich eine Sedcard erstellen lassen, wofür ihr komplettes Sparbuch draufgegangen war. Sophia war wirklich hübsch. Sie war sehr groß, sehr schlank, hatte lange blonde Naturlocken, ein fast schon überirdisch schönes Gesicht mit grauen Katzenaugen, toll geschwungenen Augenbrauen und Lippen, die wie gemalt aussahen. Sophia wusste ganz genau, dass sie gut aussah, ließ das aber nur raushängen, wenn sie mal wieder blöd angemacht wurde. Sie war sehr schlagfertig und hatte für aufdringliche Typen immer gute Sprüche parat («Meinst du wirklich, eine Gesichtsfünf wie du passt zu mir?»). Wenn Sophia und Antonia, die ja mit ihren ebenfalls blonden Locken, aber grünen Augen auch sehr hübsch war, aber eben viel schüchterner als Sophia, gemeinsam unterwegs waren, drehten sich eigentlich alle Jungs nach ihnen um. Aber meistens waren sie so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie das gar nicht merkten. Jungs waren okay, aber nicht das Wichtigste. Antonia wollte so selbstbewusst und schlagfertig sein wie die Freundin, aber die lachte immer nur und sagte, dass doch nicht alles gleich sein müsste.
«Natürlich werde ich das schaffen», konterte Vanessa und sah ihren Bruder böse an. «Deine komische Mia, die seit ein paar Wochen dauernd hier herumlungert, muss ein Stück Schokolade nur anschauen und hat ein Kilo mehr. Die braucht sich da gar nicht erst zu bewerben.»
«Erstens lungert sie hier nicht rum, ich lerne mit ihr. Sie hilft mir in Mathe. Und zweitens will sie gar nicht …»
«Haha. Ja, klar. Deswegen ist deine Tür auch immer zu.
Lernen
nennst du das. Lernen kannst du auch mit mir. Ich bin gut in Mathe.»
«Das geht dich überhaupt nichts an.» Jan wurde rot.
«Oooch, werden wir rot?», säuselte Antonia. «Wann kommt Mathe-Mia denn wieder? Und was lernst du denn sonst noch so bei ihr außer Mathe?»
Jan stand auf. «Du … pass mal gut auf. Sonst …»
«Was sonst?»
«Schluss jetzt», sagte Astrid. «Ihr zermürbt mich, alle miteinander. Und egal ob Hungerstreik oder nicht, ein Internat kommt nicht in Frage.»
«Aber …», fing Vanessa an.
«Nein. Und das ist auch mein letztes Wort», sagte Hanno Prönkel und hätte gern noch lauter gesprochen. «Deinem Hungerstreik sehe ich gelassen entgegen, mein Schatz. Du kannst gleich damit anfangen und mir dein Brot geben. Ich mag Schinken gern.»
Vanessa stopfte sich die Scheibe in den Mund und versuchte, alles auf einmal runterzuschlucken, was natürlich nicht ging.
«Das werdet ihr noch bereuen.» Vanessa stand auf. «Ihr seid für unser Unglück verantwortlich. Wenn ich nach Helgoland muss, bekomme ich Depressionen und werde sowieso nicht mehr lange zu leben haben, weil ein Wintersturm mich raus auf die raue Nordsee wehen wird. Und dann
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