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Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Titel: Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Hasselbusch
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auch dichtmachen.«
    »Glaubst du?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte.
    »Wer will denn noch so einen Tante-Emma-Laden?«
    »Onkel-Carl-Laden, meinst du?« Es war mir ein Vergnügen, ihn zum Grinsen zu bringen. Aber sofort fielen seine Mundwinkel wieder herab.
    »Die würden die Dielen abschleifen oder sie gleich ganz rausreißen, die Regale abmontieren, was Verchromtes, Schickes reinstellen und die Wände knallrot streichen. Und dann käme hier das tausendste Konfektionsgeschäft rein.«
    Ich stockte kurz beim Wort Konfektion. Er meinte einen Klamottenladen.
    »Oder ein Schuhladen. Wer braucht schon so viele, unfassbar teure Schuhläden? Nicht wahr, Jule?«
    Ich täuschte einen kurzen Hustenanfall vor und versteckte mein errötetes Gesicht hinter der Kakaotasse.
    »Nee, braucht keiner, echt!«, sagte ich eine Spur zu laut. Glücklicherweise rettete mich mein Handy, bevor wir noch tiefer in das Schuhthema einsteigen konnten. Ich hatte eine SMS bekommen.
    Irgendjemand hatte versucht, mich anzurufen, dabei hatte es noch nicht mal geklingelt.
    »In diesem Loch hier ist wieder mal überhaupt kein Netz«, schimpfte ich in Carls Richtung. Er zuckte nur ungerührt mit den Schultern. Carl besaß weder Handy noch Computer. Das Wort »Netz« kannte er höchstens vom Fischfang, und den Begriff »Empfang« verband er vielleicht mit seiner Einladung zum Bürgermeister ins Rathaus vor etlichen Jahren. Damals war ihm eine Auszeichnung verliehen worden, weil er einen so innovativen Laden führte. Das Wort »innovativ« hieß damals noch »fortschrittlich«, und ich musste wohl auch nicht erwähnen, dass es sich um den Ex-Ex-Ex-Ex-Exbürgermeister handelte, wobei man mich auf ein Ex mehr oder weniger nicht festnageln sollte.
    Ein Blick aufs Display meines Handys verriet mir, dass mein Chef versucht hatte, mich zu erreichen. Er hatte eine Nachricht hinterlassen, die ich in diesem dunklen Keller nicht abhören konnte.
    So schnell wie möglich musste ich das »Würz« verlassen, um wieder ans Tageslicht und ins einundzwanzigste Jahrhundert zu gelangen, in dem ich an meine Mailbox herankam. Jedes Mal, wenn Dotz mich anrief, wurde mir schlecht. Nach allem, was ich mit meinem cholerischen, unberechenbaren Chef schon erlebt hatte, rechnete ich bei seinen Anrufen mit allem: von der Kündigung bis hin zum Heiratsantrag. Wobei die erste Möglichkeit noch die angenehmere war. Werner Dotz war eine männliche Mischung aus Cruella de Vil, Anna Wintour und Margaret Thatcher: kratzbürstig, besserwisserisch und gnadenlos. Deswegen konnte es schon einmal vorkommen, dass meine Kollegen und ich ihn nicht Dotz, sondern Motz nannten. Oder, noch besser, den Konsonanten am Anfang nicht durch ein M, sondern ein R oder auch ein K ersetzten. Ach, der Name bot so viele schöne Möglichkeiten.
    Das Bimmeln der Ladentür unterbrach meine Überlegungen und das gemütliche Beisammensein mit Carl.
    »Kundschaft!«, rief ich und war froh über den Besuch zur rechtenZeit. Schuhläden und Werner Dotz waren keine schönen Themen auf nahezu leeren Magen.
    »Ich muss auch hoch. Da oben wartet einer auf mich!«, fiel mir plötzlich ein.
    Carl erhob sich aus seinem Sessel und brachte mich zur Tür. Die Kundin entpuppte sich im Tageslicht als Frau Resche, die etwas halbherzig mit nur einem Bein im Laden stand. Den Hund hatte sie vor dem Geschäft angebunden. Ihr Gesicht verriet, dass sie gleich zu einer Moralpredigt ansetzen würde, die ich mir ersparen wollte.
    »Tschüs, Jule«, sagte Carl, den nicht mal Frau Resche aus der Ruhe bringen konnte. »Aber sag noch mal eben. Wer hat sie dir eigentlich weggeschnappt?«
    »Wen?«, fragte ich entgeistert zurück.
    »Na, deine Stiefel von gegenüber. So schnell habe ich dich noch nie über die Straße rennen sehen. Seit Tagen starrst du in dieses Schaufenster. Das Opernglas habe ich dir mal für deine kulturelle Bildung geschenkt und nicht, um Stiefel damit zu beobachten. Wie viel sollten die eigentlich kosten?«
    »Äh, bestimmt fünfzig Euro oder so«, log ich.
    »Das ist verdammt viel. Unverschämt viel!«, gab Carl zurück.
    Ich nickte. »Braucht eh keiner, diese blöden Schuhläden.«

Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei,
ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten.
    Sigmund Freud
    Noch einer war weg. Als auf mein fröhliches »Bin zurühück!« keine Antwort kam, wusste ich, dass er verschwunden war. Nein, diesmal war nicht der Stiefel gemeint, sondern der Kerl, der vor meinem übereilten Aufbruch noch

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