SECHS
in Gang gesetzt. Nach einem Einbruch sah das hier nicht aus, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie es aussehen sollte.
Vielleicht doch?
Sie schnallte sich ab, stieg aus dem Auto und ging mit hölzernen Schritten auf den Polizeiwagen zu. Auf der Fahrerseite sah sie einen Beamten sitzen. Als er Melanie bemerkte, stieg auch er aus. Die Furcht verstärkte sich mit jedem weiteren Schritt, den sie auf ihn zu tat.
Dann, als sie ihn erreicht hatte, standen sich beide einen kurzen Moment schweigend gegenüber. Voller Anspannung.
„Frau Brenner?“
„Ja", kam es erstickt.
Jetzt öffnete sich die Beifahrertür des Polizeiwagens und eine Beamtin stieg aus, blieb aber neben den Wagen stehen und nickte Melanie nur kurz zu. Mehr nicht. Melanie musterte die Frau. War da nicht Traurigkeit in ihrem Blick?
„Wir haben telefoniert. Ich bin Bent Jasper.“
Er streckte Melanie die Hand entgegen. Melanie zögerte, gerade so, als könne sie dadurch verhindern, dass die Wahrheit wie ein Stromschlag auf sie überspringen würde. Doch schließlich nahm sie seine Hand und schüttelte sie einmal kraftlos.
„Was ist passiert?“
Jasper sah kurz auf den Boden. Melanie registrierte das. Kein gutes Zeichen. Aber welches? War es Verlegenheit? Angst? Oder beides?
Jasper atmete tief durch und sagte dann:
„Ihr Mann hatte einen Unfall.“
Zunächst verspürte Melanie nichts. Sie dachte auch nichts. Die Worte waren zwar angekommen, aber ihr Gehirn schien deren Bedeutung zu blockieren. Wie die Verteidiger einer Feste, die dem letzten Ansturm standzuhalten versuchen, aber wohl wissen, dass sie am Ende doch fällt - fallen muss.
Aus dem Auto heraus beobachteten die Kinder, wie ihre Mutter ein paar Schritte zurückwankte, so als habe sie ein unsichtbarer Faustschlag getroffen.
„Wie ... was ist passiert?“
„Ihr Mann ... er wurde angefahren.“
Melanies Puls raste. Sie schüttelte den Kopf, wollte nicht wahrhaben, was ihr da eben gesagt worden war. Die Feste fiel. Die Worte brachen durch alle Tore, und Erinnerungen stürmten ein wie feindliche Reiter. Eine davon war die Schlimmste. Es war die an den Krankenwagen. Ihre weit aufgerissenen Augen spiegelten das Entsetzen wieder, als sie eins und eins zusammenzählte.
Sie war nur wenige Meter von dem Ort entfernt gewesen, an dem ihr Mann ... und einfach ... weggefahren! Sie war nicht bei ihm gewesen. Was, wenn er ...? Nein, das durfte nicht sein!
Zur Macht der Erkenntnis mischten sich nun noch Selbstvorwürfe. Als ihre Beine darüber einzuknicken drohten, machte Jasper einen Schritt auf sie zu und griff ihr stützend unter die Arme.
„Ist er ...?“, presste sie heraus.
„Das wissen wir nicht“, antwortete Jasper schnell, „er wurde in die Klinik gebracht. Ins Unfallkrankenhaus.“
Die Mädchen wurden immer unruhiger. Vor allem Claire verstand, dass etwas ganz Fürchterliches geschehen sein musste. Ihre Mutter war sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Ein Einbruch in ihr Heim wäre schlimm, aber sicher nicht so schlimm, dass sie darüber derart ins Wanken geriet.
Claire beschloss, gegen die Anweisung ihrer Mutter zu handeln und stieg aus dem Wagen.
„Wir fahren Sie gerne ins Krankenhaus. Wir sind in fünfzehn Minuten da ...“, sagte Jasper. Er blickte an ihr vorbei und fügte hinzu, „... die Kinder natürlich auch.“
„Mama ...?“, kam es unsicher von Claire. Sie war mit Sofie an der Hand hinter ihrer Mutter aufgetaucht.
Melanie straffte sich. Sie musste jetzt funktionieren, Stärke zeigen, ganz gleich, was sie alle erwartete. Sie drehte sich langsam um, ging dann vor den Kindern in die Hocke. Einen Moment noch schwieg sie, dann sagte sie:
„Kinder, ich muss euch etwas sagen.“
Nur wie?
„Es ist was mit Papa, stimmt's?“, kam ihr Sofie zuvor.
Melanie blickte auf den Boden.
„Ja. Papa liegt im Krankenhaus.“
Sie erwartete, dass die beiden nun in Tränen ausbrechen würden. Aber das geschah nicht. Stattdessen standen sie nur stumm da. Sie begriff.
Sie wollen stark sein. Für mich.
„Wir fahren jetzt zu Papa. Was meint ihr?“
Die Kinder nickten.
-13-
Zur gleichen Zeit, als Melanie und die Kinder in das Polizeiauto stiegen und sich auf den Weg ins Unfallkrankenhaus machten, stampfte Anatol Sirkowsky wütend zu seinem Wagen und rief sich die Ereignisse der vergangenen Stunden in Erinnerung.
Was für ein Scheißtag! , dachte er. Dieser Lackaffe Rentsch hatte ihn so herablassend behandelt, dass er ihm dafür gerne einen Besenstiel in den
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