Sechseckwelt 01 - Die Sechseck-Welt
ist, daß ich am Ufer flog und sonderbare Musik hörte – und jetzt wache ich hier auf.«
»Diese Wesen scheinen –«, begann Wuju, aber die Schwarmkönigin zischte plötzlich: »Seid stumm!«, und Wujus Stimme erstarb.
»Ein Sturm zieht auf«, sagte die Königin. »Er wird erst nach der Morgendämmerung vorbei sein. Deshalb ist das einfachste auch das beste.« Sie schaute hinauf zum summenden Schwarm, dann trat sie in den Ring und setzte sich auf einen Pilz. »Was machen wir mit den Eindringlingen?« fragte sie.
»Sie anpassen«, antwortete der Schwarm mit einer Stimme.
»Sie anpassen«, wiederholte die Königin. »Und wie können wir das, wenn wir so wenig Zeit haben?«
»Sie verwandeln, sie verwandeln«, meinte der Schwarm.
Der Blick der Königin fiel auf Wuju, die sich an Brazil klammerte.
»Du willst ihn?« fragte die Schwarmkönigin ätzend. »Du sollst ihn haben.« Ihre Augen glühten, und das Summen des Schwarms wurde heftiger.
Wo Wuju gestanden hatte, war plötzlich ein Reh, ein wenig kleiner und schmaler als Brazils Hirsch. Das Reh schaute sich verwirrt um, dann begann es, gleichgültig Gras zu rupfen.
Die Schwarmkönigin wandte sich Vardia zu.
»Pflanze, du möchtest so gern wie ein Tier sein. Das sollst du haben.«
Das Summen wurde wieder lauter, und wo Vardia gewesen war, stand ein zweites Reh.
»Es ist einfacher, etwas aus der Gegend zu nehmen, wißt ihr«, sagte die Schwarmkönigin zu niemand Bestimmtem. »Ich muß mich beeilen.« Sie richtete den Blick auf Cousin Bat.
»Du magst sie, sei wie sie!« befahl sie, und auch Bat verwandelte sich in ein Reh, das genauso aussah wie die anderen.
Sie wandte sich Brazil zu.
»Hirsche sollten nicht denken«, sagte sie. »Das ist unnatürlich. Hier ist dein Harem, Hirsch. Beherrsche sie, aber als das, was du bist, nicht, was du sein willst.«
Der Schwarm begann, wild zu summen, und Brazils Gemüt wurde dumpf und leer, ohne Denken.
»Und schließlich, damit ein so rasch gesprochener Zauber nicht leicht verfliegt, verordne ich den vieren Angst und Schrecken von allen, außer ihrer eigenen Art, und allen Dingen, die Tiere beunruhigen. Sie sind vom Kreis frei.«
Brazil hetzte in die Dunkelheit, gefolgt von den drei anderen.
Donner grollte, Blitze zuckten auf.
»Der Kreis ist durchbrochen«, tönte die Königin.
»Wir suchen Zuflucht«, antwortete der Schwarm und stob auseinander. Die anderen Wesen wurden lebendig, manche schnatternd, andere heulend, als Blitz und Donner sich verstärkten.
Die Schwarmkönigin warf sich herum und lief in ihren Baum.
»Schlampig gemacht«, murmelte sie. »Ich hasse diese Eile.«
Es begann zu regnen.
Obwohl es wirklich ein überhasteter Zauber war, brauchte Brazil fast einen ganzen Tag und die Nacht, um ihn zu brechen. Der Fehler war ein einfacher: zu keinem Zeitpunkt während der Begegnung hörte die Schwarmkönigin ihn sprechen, und sie war nicht auf den Gedanken gekommen, daß er es konnte. Das Übersetzungsgerät arbeitete weiter, obwohl es für den Rest des Tages im Gewitter und am nächsten Tag, als die Bewohner des Feenlandes schliefen, wenig nutzte.
Als die Wesen im Dunkeln herauskamen, sprachen sie jedoch miteinander. Die Gespräche waren zahllos, kompliziert und betrafen Taten und Begriffe, die ihm völlig fremd waren, aber es wurden Wörter und Sätze gebildet, die der Dolmetscher übertrug. Die Signale, wenngleich zumeist unverständlich, behämmerten sein Gehirn, reizten es, lieferten etwas, woran er sich halten konnte. Langsam kehrte das Bewußtsein zurück, Begriffe bildeten sich, Vorstellungen, die das Hindernis des Zaubers überwanden.
Der Funke in ihm, der stets für sein Überleben gesorgt hatte, wollte ihn nicht ruhen oder aufgeben lassen. Es war wie ein Kampf gegen ein unsichtbares Hindernis; etwas in ihm griff an, bestürmte die Sperren, die errichtet worden waren.
Plötzlich stieß er durch. Erinnerungen drängten heran, und mit ihnen die Vernunft. Er fühlte sich erschöpft, er wußte, daß kostbare Zeit vergeudet war. Er schaute sich um. In der Nähe schliefen die drei verwandelten Mitglieder der Expedition, in jeder Beziehung identisch, bis hin zum Geruch.
Er begriff, daß er wenig tun konnte, bis es hell wurde, zwang sich zur Ruhe und wartete auf das Morgengrauen.
Mit dem Tageslicht kamen die Sicherheit und die freie Bewegung. Er versuchte über eine Stunde lang, sich mit den drei Rehen zu verständigen, aber ihre Blicke waren leer, ihre Handlungen völlig
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