Sechseckwelt 03 - Entscheidung in der Sechseck-Welt
aufgerichtet oder zurückgebogen werden konnte. Das Gift vermochte Organismen von der vielfachen Größe der Lata zu lähmen und zu töten. Es war das Gift, das die Yaxa fürchtete und respektierte.
»Wie heißt du, Lata?« fragte die Yaxa.
»Ich bin Vistaru vom Rehhain«, erwiderte sie, bemüht, ihre Nervosität zu verbergen.
»Vistaru? Die Lata, die Mavra Tschang in den damaligen Kriegen unterstützt hat?«
Sie nickte zögernd.
Die Yaxa schien zu überlegen.
»Ich hätte gedacht, daß Sie inzwischen die männliche Form angenommen haben«, sagte sie schließlich.
»Das hätte ich eigentlich tun sollen, aber ich habe es immer wieder hinausgeschoben. Als Mann hat man die Verantwortung, ein Kind aufzuziehen, und ich habe mich dazu noch nicht imstande gefühlt.«
»Ortega hat Sie hierhergeschickt, damit Sie mithelfen, Mavra zu suchen«, erklärte die Yaxa nach einer Pause.
Vistaru nickte, fügte aber nichts hinzu. Die beiden Rassen waren von Natur aus Feinde. So seltsam die Yaxa sich auch benahm, Vistaru rechnete nicht damit, die Begegnung zu überleben.
»Dann hatte ich also recht«, murmelte der große Falter. »Sie ist nicht tot, sondern vermißt.«
»Was geht das Sie an?« antwortete Vistaru. »Wenn Sie mit ihrem Verschwinden nichts zu tun haben, dann nur, weil Ihnen Trelig oder sonst jemand zuvorgekommen ist.«
»Kühne Worte«, sagte die Yaxa kalt. »Aber ich will trotzdem eine Abmachung mit Ihnen treffen. Beantworten Sie wahrheitsgemäß meine Fragen, und ich sorge dafür, daß Sie Gelegenheit bekommen, doch noch zum Mann zu werden.«
Vistaru starrte das Wesen erstaunt an.
»Mal sehen«, erwiderte sie vorsichtig. »Stellen Sie Ihre Fragen.«
»Wissen Sie, wer Mavras Gehege zerstört hat?«
»Nein, aber wir vermuten, daß Beauftragte von Antor Trelig dahinterstecken.«
Die Antwort schien der Yaxa zu genügen.
»Ich darf annehmen, daß die Ambreza eine groß angelegte Suchaktion begonnen haben?«
Vistaru nickte.
»Sie ist fast mit Sicherheit nicht in Glathriel oder Ambreza und scheint auch die Grenze nach Ginzin nicht überschritten zu haben.«
»Dann ist sie, wie ich vermutete, mit einem Schiff unterwegs. Die Frage ist nur, freiwillig oder unfreiwillig.«
»Trelig hätte für ihren männlichen Begleiter Joshi keine Verwendung«, betonte Vistaru. »Angesichts der Hypnotechnik benötigt man keine anderen Druckmittel, wenn man eine Informationsquelle anzapfen will. Aber er ist auch verschwunden. Wir gehen davon aus, daß sie geflohen sind.« Die Lata verstummte plötzlich, nicht sicher, ob sie nicht schon zuviel verraten hatte.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, erklärte die Yaxa, als könne sie ihre Gedanken lesen. »Ich bin bereits zu ähnlichen Schlüssen gekommen. Ich nehme an, daß Sie aus demselben Grund hier sind wie ich – um die ›Toorine Trader‹ abzufangen.«
Die Lata antwortete nicht, aber ihr Ausdruck sprach für sich.
»Lata, ich könnte Sie töten«, sagte die Yaxa nach einer längeren Pause, »aber ich werde es nicht tun. Wenn ich Sie befreie, könnten Sie jedoch versuchen, mich zu stechen, oder wir suchen weiterhin gemeinsam nach der ›Trader‹, die in Richtung Norden nicht mehr allzu weit entfernt sein kann, und stoßen bei einer anderen Gelegenheit wieder zusammen. Ich könnte Sie mit Ihren gefesselten Flügeln einfach hier lassen, und Sie könnten die Flechten essen, würden aber trotzdem bald sterben. Diese Felseninsel liegt weitab von den Schiffsrouten, und nur die Graden hat uns hier zufällig zusammengeführt. Ich schlage also einen ehrenhaften Waffenstillstand vor. Sie verpflichten sich, mich nicht zu stechen, und ich werde Ihnen nichts tun und Ihnen die Klammern abnehmen. Wir suchen gemeinsam die ›Trader‹ und bleiben zusammen, bis wir herausgefunden haben, wo Mavra Tschang ist. Einverstanden?«
Vistaru überlegte. Sie hatte keine Aussicht, die Klammern allein entfernen zu können, und ohne ihre Flügel saß sie in der Falle. Aber konnte sie der Yaxa vertrauen? Welche Motive bewegten sie? Warum war sie hier?
Aber im Grunde hatte sie gar keine Wahl.
»Also gut, ich bin einverstanden. Waffenstillstand. Zumindest so lange, bis wir festgestellt haben, was hier vorgeht. Sie haben mein Wort, daß ich nichts gegen Sie unternehme.«
»Ihr Wort genügt mir.« Eine lange, klebrige Zunge schnellte aus der gewölbten Nase der Yaxa heraus und löste die Klammer von einem Flügelpaar, reichte sie an einen Greifarm weiter, der sie in einem Beutel verstaute.
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