Sechseckwelt 05 - Dämmerung auf der Sechseck-Welt
Leuten völlig fremd vor.«
»Ich muß zugeben, so etwas ist mir neu«, räumte Ortega ein. »Aber ich kann mir denken, wie unausweichlich so etwas ist.«
»Nicht so neu. Ich glaube, alle Rassen haben da ihren Anteil. Hier auf der Sechseck-Welt mit 1560 eng aufeinander lebenden Rassen bin ich oft darauf gestoßen. Ich vermute, daß das viel weiter verbreitet ist, als man uns glauben machen will. Man redet nur nicht darüber, weil es keinen Sinn hat. Man nennt solche Leute einfach geisteskrank, hängt ihnen irgendeine medizinische Bezeichnung an und erklärt ihnen, daß sie lernen müssen, sich anzupassen. Und was kann man dagegen tun? Man kann nicht zu seinem Arzt gehen und sagen: ›Machen Sie aus mir etwas anderes.‹ Überlegen Sie, wie viele von den Menschen die Sechseck-Welt mit Sehnsucht betrachtet haben. Ein romantischer Ort, ein Ort, wo man in ein völlig anderes Wesen verwandelt werden konnte. Und für jeden, den der Gedanke abstieß, gab es mindestens einen, der sich in seiner Phantasie vorstellte, was er gerne gewesen wäre, und dadurch erregt wurde.«
»Und deshalb haben Sie sich freiwillig gemeldet, um die Menschen als Spion zu beobachten?«
Marquoz lachte leise.
»Nein, ich habe mich eigentlich nicht freiwillig gemeldet – obwohl ich das vielleicht getan hätte, wenn mir etwas davon bekannt gewesen wäre. Man suchte mich aus. Mein psychologisches Profil war das, was sie suchten – jemand, der sich in einer völlig fremdartigen Kultur ebenso zu Hause fühlte wie bei seinen eigenen Genossen.«
Ortega nickte.
»Ergibt Sinn. Und waren Sie im Kom-Bereich glücklicher?«
»Glücklicher? Nun ja, in gewisser Beziehung, mag sein. Ich blieb natürlich ein fremdes Wesen, aber jetzt war ich ein exotisches. Das veränderte meine Gefühle gegenüber meiner eigenen Rasse nicht, aber ihre Erscheinungsform war nun wenigstens etwas Aufregendes.«
Es wurde immer dunkler, und Ortega schaute sich um. Er konnte nicht mehr viel erkennen, doch von Zeit zu Zeit blitzte ein Signal auf, das den anderen mitteilte, alles sei in Ordnung. Nicht weit entfernt konnte er zwei undeutliche Gestalten erkennen, die dabei waren, die Netze im Fluß zu überprüfen und sich zu vergewissern, daß die Minen geschärft waren. Auch auf diesem Weg würde niemand unbemerkt herankommen können. Er wandte sich wieder Marquoz zu und einem Gespräch, von dem er wußte, daß es unter keinen anderen Umständen hätte geführt werden können.
»Sie sind kein Chugach mehr«, meinte er. »Wie hat sich das auf Ihr Selbstverständnis ausgewirkt?«
Marquoz zog die Schultern hoch.
»So groß ist die Veränderung eigentlich nicht. Und ich hatte dabei nicht mehr mitzubestimmen als vorher. Fällt nicht ins Gewicht.«
»Aber das bringt mich zu meiner ersten Frage zurück«, erklärte Ortega. »Sie hätten werden können, was immer Sie wollten, wenn Sie mit den anderen gegangen wären.«
Marquoz seufzte.
»Sie müssen das in dem Zusammenhang sehen, den ich erwähnt habe. Das ist wirklich das erste Unternehmen, an dem ich beteiligt bin, das irgendeinen Sinn hat. Es entspricht dem, was Sie selbst gesagt haben. Tot im Bett gefunden zu werden, hat noch nie etwas bewirkt. Es spielte gar keine Rolle, ob jemand gelebt hatte oder nicht. Das könnte der Nachruf für fast jeden sein, der gelebt hat, ob hier oder sonst irgendwo im Universum. Es spielt im großen Rahmen überhaupt keine Rolle, ob mehr als eine Handvoll von Leuten gelebt hat oder nicht. Es ist nicht bedeutsamer als das Dasein einer einzelnen Blume, eines Grashalms, irgendeiner Pflanze oder eines Vogels. Es würde keine Rolle spielen, wenn die Männer, die damals den Paß hielten oder das alte Fort, statt dessen an Krankheit oder in hohem Alter oder bei einer Schlägerei in einer Kneipe gestorben wären. Aber es spielte eine Rolle, daß sie dort starben, wo sie es taten. Es kam darauf an. Es rechtfertigte ihr ganzes Dasein. Und es kommt darauf an, daß ich jetzt hier bin und diese Wahl treffe. Für mich und für sie. Für die Sechseck-Welt und das ganze gottverdammte Universum.« Er hob die Arme und erfaßte mit einer Bewegung die ganze Dunkelheit. »Ist Ihnen wirklich klar, was wir hier tun?« fuhr er fort. »Wir werden das gesamte Schicksal des Universums vielleicht auf Jahrmilliarden hinaus entscheiden. Nicht Brazil, nicht Mavra Tschang, wenn man es genau nimmt. Sie treffen die Entscheidungen nur deshalb, weil wir sie in die Lage dazu versetzen! Hier und jetzt, morgen und übermorgen. Sagen
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