Sechseckwelt 05 - Dämmerung auf der Sechseck-Welt
Zahl der Bäume, die er bewohnte und beherrschte. Innerhalb der Klans, die von so wenig Mitgliedern wie hundert bis zu über fünftausend umfaßten, war der männliche Rang eine Kombination von Alter, Geburt und Proben von Kraft und Ausdauer. Der weibliche Rang hing mehr vom Alter und der Beziehung zum obersten männlichen Mitglied des Klans als von irgendwelchen anderen Dingen ab, allerdings stand die Frau mit dem höchsten Rang immer noch weit unter dem Mann mit dem niedrigsten.
Eine junge Awbrier-Frau holte sie am Morgen. Sie sei Dhutu von Tokar, erklärte sie der Neuen, und wolle Yua helfen, zu ihrem neuen Heim zu gelangen, und wolle sie bei der Eingewöhnung unterstützen.
Dhutu war wenigstens freundlich und half ihr bei den Feinheiten des Fliegens, wobei Yua feststellte, daß sie rasche Fortschritte machte. Sie schien instinktiv Entfernungen schätzen und die träge Luft ›fühlen‹ und ›sehen‹ zu können. Trotzdem fehlte es ihr noch an völligem Zutrauen zu ihrer Fähigkeit, so daß sie sich immer wieder an Bäume klammerte und ihren Weg häufig unterbrach. Dhutu war belustigt, aber geduldig, und bei den Zwischenaufenthalten erfuhr Yua mehr über die Kultur der Awbri.
Die Männer verbrachten ihre Zeit offenbar zumeist bei sportlichen Wettkämpfen und maßen sich auf andere Art miteinander, überwachten aber auch Wirtschaft und Handel und tauschten, was ihr Klan an Gütern hervorbrachte, aus gegen das, was benötigt wurde. Sie entschieden, was an den Asten und in den mit Dünger ausgefüllten Hohlräumen von Zweigen angebaut wurde; sie entschieden praktisch über alles. Nur Männer erhielten überhaupt eine Ausbildung. Yua empfand Dhutus Unwissenheit als beinahe schreckenerregend. Die Awbri-Frau betrachtete Lesen und Schreiben als Zauberei; Bücher und Schrift waren geheimnisvolle Symbole, die nur zu Männern ›sprachen‹. Sie hatte keine Ahnung, was im nächsten Hain außerhalb ihrer eigenen Nachbarschaft lag, und wußte auch nicht, daß sie sich auf einem Planeten befand – oder auch nur, was ein Planet sei. Sie wußte natürlich, daß es andere Rassen gab; die Sechsecke waren zu klein, als daß dies hätte verborgen bleiben können. Aber sie besaß keine näheren Kenntnisse von ihnen, denn sie waren alle Ungeheuer und zu begreifen nur von Klanführern. Und außerdem kannte sie keine Neugier.
Die Frauen verrichteten, wie sich zeigte, die Arbeit. Sie brachten nicht nur die Jungen zur Welt und zogen sie auf, sie ernteten die Äste ab, brachten die Ranken und Früchte ein, stellten den Spezialdünger für besseren Ertrag her und waren auch die Handwerker und Warenerzeuger. In Holz zu arbeiten, war hier komplizierte Arbeit, mußte aber geschehen, ohne den Baum abzutöten. Sie bauten und hielten verschachtelte Wohnungen im Inneren der Bäume instand und erzeugten die reichverzierten Holzarbeiten, die auffälligen Möbel, Kunstgegenstände und Haushaltgeräte, wie etwa Vasen. Sie bauten ferner fremdartige Musikinstrumente für kunstvoll gearbeitete Kompositionen – natürlich von Männern geschrieben – und die Werkzeuge und Waffen für ihre eigenen Arbeiten und die Sportarten der Männer.
Die beiden erreichten einen Baum – ihren Baum, erklärte ihr Dhutu – und landeten auf einem niedrigen Ast. »Das ist ein neuer Baum«, wurde Yua mitgeteilt, »das heißt, er ist bei einem Handel mit dem Mogid-Klan erworben worden, der zusätzliche Früchtepflanzungen benötigte. Wir hatten überzählige Fruchtbäume in der Nähe ihrer Grenze, sie besaßen einige freie Wohnbäume nahebei, und wir brauchten mehr Raum. Für uns war das sehr aufregend, weil so etwas vorher noch nie vorgekommen ist. Wir beginnen erst jetzt damit, den Baum richtig zu entwickeln, eine Arbeit, an der du dich beteiligen kannst.« Dhutu sagte es mit solcher Begeisterung, daß Yua vermutete, man erwarte von ihr, daß sie vor Freude außer sich sei.
Sie betraten eine große Höhlung und stiegen eine Leiter zu einem niedrigeren Geschoß hinunter, das schon stärker ausgebaut war. Die Bäume waren riesig; Yua vermutete, daß dieser hier einen Durchmesser von dreißig Metern und mehr haben mußte; das eigene Lebenssystem in seinem Außenbereich. Die Bäume schienen von Natur aus hohl zu sein, so daß sie wenig Schaden erlitten, wenn sie im Inneren bewohnt wurden, aber was dort getan worden war, erwies sich in der Tat als überaus eindrucksvoll.
Die neue Etage stand im Begriff, umgewandelt zu werden. Frauen waren eifrig damit beschäftigt,
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