Sechselauten
verbringen wir in Zürich. Vor allem, seit wir älter geworden sind.«
»Wer um Himmels willen ist Sandro?«, fragte der Kommissar, dem langsam die Geduld ausging.
»Ein Freund von Charlotte. Er hat sich um sie gekümmert, als sie zurück in die Schweiz gekommen war. Ihr auch die Stelle bei der FIFA beschafft.«
Kolegger räusperte sich. Er sah seine Frau an und formulierte ein paar Sätze auf Jenisch. Meret überlegte, ihre Antwort fiel kurz aus. Dann wandte sie sich an Eschenbach: »Wir würden Sie gerne zu uns einladen … auf einen Kaffee oder Bier – wie Sie wollen.«
Sie fuhren die Sihltalstrasse entlang im Schatten des Zimmerbergs. Hier und dort lagen geschälte Holzstämme am Wegrand; die Beute eines Holzfällerwinters.
»Wenn es dunkel wird, geht das Licht am Wagen an«, sagte Josef Kolegger und tätschelte stolz das Lederlenkrad seines Mercedes. »Ganz automatisch. Es ist ein tolles Auto. Sandro hat es uns geschenkt, weil wir uns immer um Charlotte gekümmert haben.«
»Und um Latscho auch«, fügte seine Frau hinzu.
»Eben.«
»Und dieser Sandro«, begann Eschenbach, der das Gespräch zurück auf den Punkt bringen wollte, »was tut der so, ich meine, ist er auch ein Fahrender?«
»Ja, ja, das ist er …«, meinte Kolegger heiter, so als hätte er gerade einen unanständigen Witz gehört. »Er kommt auf der ganzen Welt herum, und zwischendurch ist er in Zürich, wie wir. Das sind irgendwie auch alles Fahrende dort.«
»Mein Mann meint die FIFA «, erklärte Meret Kolegger.
»Die FIFA ? Dieser Sandro arbeitet also auch dort?« Eschenbach war wie elektrisiert.
»Ein hohes Tier.« Kolegger trat einen Moment zu fest aufs Gas und musste wieder abbremsen.
»Nicht so wie der Präsident«, sagte sie.
»Aber trotzdem hoch …«, beharrte er. »Sandro Graf heißt er.«
»Sandro Graf also …« Eschenbach suchte Koleggers Augenpaar im Rückspiegel. Sein Instinkt war erwacht. Das konnte doch alles kein Zufall sein. Eschenbach versuchte ruhig zu bleiben, er wollte die Koleggers nicht verschrecken. Deshalb hätte er fast nicht mitbekommen, was Meret Kolegger sagte.
»Sandro ist, wie heißt das, juristischer Anstand oder Beistand, also so etwas Ähnliches.«
Eschenbach dachte nach. Seine Erregung war einer professionellen Gelassenheit gewichen. »Also wenn Sandro Anwalt ist und bei der FIFA arbeitet, dann rapportiert er an Kronenberger.«
»Wie meinen Sie das, rapportiert?« Meret war plötzlich etwas unsicher.
»Kronenberger ist der oberste Jurist dort. Und alle, die mit Juristerei zu tun haben, die berichten an ihn … arbeiten mit ihm zusammen.«
»Mit Kronenberger?«, fragte nun Josef.
»Richtig.«
»Eben.« Kolegger nickte. »Und der ist hoch, wie ich es gesagt habe.« Wieder wurden ein paar Sätze auf Jenisch gewechselt. Resigniert lehnte sich Eschenbach zurück in seinen Sitz und wartete.
»Wir sind gleich da«, sagte Kolegger, dem der Missmut des Kommissars nicht entgangen war. Er fuhr durch eine kaum belebte Quartiersstrasse.
»Gleich da«, wiederholte seine Frau, und Eschenbach überlegte, ob »da« auch »daheim« bedeutete.
13
W ie das Großmünster, der See oder das Opernhaus hatten auch die Fahrenden in Zürich einen festen Platz. Von Amtes wegen zugewiesen, in Zürich-Seebach; denn Ordnung musste sein. Und weil es in Zürich außer dem Tod nichts umsonst gab, zahlten auch die Radgenossen, wie sich die Gemeinschaft der Jenischen in Zürich nannte, für ihren Standplatz eine Miete. Sie zahlten sie an die Stadt, hochoffiziell, wie Kolegger betonte.
»Das Grundstück gehört der Stadt«, sagte er. »Obwohl die nie etwas dafür bezahlt haben, nämlich es wurde eingezont, das hat uns Sandro gesagt. Damals, in den zwanziger Jahren, zusammen mit der Gemeinde Seebach …« Kolegger wich einem Fußball aus, der auf die Straße rollte. »Wir zahlen eigentlich für etwas, das die Stadt geschenkt bekommen hat … Komisch, oder?«
»Stadt müsste man sein«, erwiderte Eschenbach.
Das Areal, auf das Kolegger mit seinem Mercedes zusteuerte, lag eingekesselt zwischen der vielbefahrenen Glattalstrasse und der Autobahn. Eine Nutzungsfläche, die normalerweise jedem Städteplaner schlaflose Nächte bereitet hätte.
Kolegger manövrierte den Wagen durch eine Einfahrt. Nun fuhren sie an einem Parkplatz vorbei. Ein einzelner riesiger Wohnwagen stand darauf. Daneben zwei dunkelblaue Karossen mit Anhängerkupplung am Heck, dieselbe Marke wie die von Kolegger, allerdings waren es ältere
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