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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Modelle.
    Der Volksmund lag falsch, fand Eschenbach: Es sah überhaupt nicht aus wie bei den Zigeunern. Was hatte er erwartet?Natürlich gab es immer mal wieder Probleme in dieser Gegend. Wie andernorts auch. Einen lauten Streit, in dem jemand ein Messer zu Hilfe genommen hatte, und vor zwei Jahren eine Schießerei. Mal waren es Drogen, mal Diebstahl gewesen. Anwohner, die sich beklagten, weil im Freien zu laut Musik gehört wurde. Aber Tote oder ernsthaft Verletzte hatte es nie gegeben. Deshalb war er auch noch nie hier gewesen. Er hatte sich in seiner Laufbahn beinahe ausschließlich um Kapitalverbrechen gekümmert, und so gesehen, war dieser Fleck Erde – trotz kleinerer Delikte (Messerstechereien), Kleinkriminalität (Diebstahl) und aufmüpfigen Lärms –, wenn auch nicht ein weißer, so doch ein nur hellgrauer Fleck auf seiner Landkarte. »Richtig gemütlich haben Sie es hier«, sagte er auch deshalb, als der Wagen zwischen zwei Häuserreihen hindurchschlich. Rosa folgte vorsichtig mit dem Volvo. Wenn Eschenbach sich umdrehte, konnte er sehen, dass Latscho wild gestikulierte.
    »Wir sind dreißig Parteien«, erklärte ihm Frau Kolegger freundlich. »Früher haben wir hier unsere Wohnwagen hingestellt, während der Wintermonate, wenn wir nicht unterwegs waren. Inzwischen haben die meisten aber ein Häuschen gebaut.«
    Hinter einem Lattenzaun entdeckte Eschenbach ein Dutzend Gartenzwerge. Es hätte ordentlicher und aufgeräumter nicht sein können.
    Natürlich waren die Häuser nicht aus Beton, hatten keine weiß oder grau getünchten Wände, keinen Verputz und keine Glasfronten. Es waren Holzhäuser in Fertigbauweise; sie blickten fröhlich drein mit ihren farbigen Anstrichen. Auffallend viel Pastelltöne, dazwischen eine Fassade in knackigem Orange oder ein Gartenzaun in Ferrarirot.
    Die Anlage erinnerte Eschenbach an einen Campingplatz in Cheyres am Neuenburgersee. Freunde von ihm hatten dort einen Standplatz. Und wie die Fahrenden in Seebach, waren die Feriengäste dort auch dazu übergegangen, aus ihren Wohnwageneinrichtungen über die Zeit stabilere Bleiben zu zimmern. Kleine Holzhäuschen, nicht so bunt wie die der Jenischen, und mit dem kleinen Unterschied, dass sie am See und nicht direkt an der Autobahn lagen.
    »Hier ist es«, sagte Kolegger. Er parkte den Mercedes vor einer kleinen Veranda, stieg aus und holte eine große Kühlbox aus dem Kofferraum. Rosa parkte direkt hinter ihm.
    Nachdem die Koleggers ihr altrosa lasiertes Holzhaus aufgeschlossen, den Hebel der Hauptsicherung umgelegt und den Boiler eingeschaltet hatten, baten sie ihre Gäste an den großen Tisch in der Wohnstube. Latscho hatte sich auf einen Sessel gefläzt.
    Durch das Fenster sah Eschenbach einen Mann mit schwarzer Motorradjacke näher kommen.
    »Der Jogg«, sagte Meret Kolegger. »Ausgerechnet jetzt.« Sie schüttelte den Kopf, und ihr Mann meinte: »Wir müssen die Wagen wegstellen. Es gibt Parkplätze, wissen Sie. Alles hat seine Ordnung.« Kolegger sah zu Rosa: »Hier dürfen wir die Autos nicht stehenlassen.«
    Latscho rannte plötzlich los.
    Eschenbach folgte dem Kleinen. Er wollte die Sache im Auge behalten. Noch einmal würde ihm der Junge nicht abhandenkommen, das hatte sich der Kommissar geschworen.
    Der Mann, den die Koleggers Jogg nannten, stand bereits vor der Tür, als Latscho sie öffnete.
    »Hallo … Ist alles in Ordnung, mein Kleiner?« Der Blick galt zuerst dem Jungen, dann richtete er sich zögernd auf Eschenbach.
    »Guten Tag, Herr Huwyler«, rief Meret Kolegger. Sie kam eilig dazu, und dem Kommissar fiel auf, dass sie sich noch schnell die Haare gerichtet hatte.
    Es ging tatsächlich nur um die Autos. Beruhigt ließ Eschenbach die Schultern fallen. Er betrachtete den Mann, der wie ein Sonntagswanderer mit geröteten Wangen und den Händen in den Hosentaschen dastand. Die Sache war schnell erledigt.
    Nachdem der Jogg gegangen war, fuhren Josef Kolegger und Rosa die Autos zurück auf den Parkplatz.
    »Tüü-tää-tüü«, flüsterte Latscho.
    Der Kommissar hielt inne. Es war das erste Mal, dass er vom Jungen einen Laut hörte. Er sah hoffnungsvoll zu Rosa. Aber das Blaulicht kam nicht zum Einsatz.
    Als wieder alle im Wohnzimmer versammelt waren, sagte der Alte: »Der Jogg ist der Liegenschaftsverwalter der Stadt. Besser, keiner weiß, dass die Polizei hier ist.«
    Alles, was nur den Hauch von Obrigkeit an sich hatte, schien bei den Leuten ein tiefes Unbehagen zu wecken. Eschenbach hatte den Eindruck, die

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