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Second Face

Second Face

Titel: Second Face Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Philipps
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liegt über der Insel, noch trostloser geht es nicht. Dementsprechend trübe ist die Stimmung. Selbst ihre Zimmer, die größer sind als in der alten Wohnung, entschädigen nicht für all das, was sie zurückgelassen haben.
    Als der Regen endlich aufhört, machen sie sich mit Gummistiefeln an die Besichtigung des Hofes, der im Schlamm versinkt. Neben dem alten Bauernhof, den die Eltern komplett sanieren und im Inneren mit den modernsten technischen Einrichtungen versehen ließen, gibt es Stallungen für bis zu vierzig Pferde. Zehn Haflinger, fünf Friesenpferde und fünf Shetlandponys gehören fest zum Hof. In einigen Wochen werden die ersten Gäste erwartet. Die anderen Boxen sind an Inselbewohner oder an Touristen vermietet, die die Insel mit ihrem eigenen Pferd erkunden wollen.
    Im Stall stehen auch die Pferde der Zwillinge: Annes Filou, eine Haflingerstute, und Maries Svantevit, ein weißer Araberwallach. Schon vor Wochen haben sie die Pferde ausgesucht, sie sind vor ihnen eingetroffen.
    Für einen Moment bleibt die Zeit stehen. Die Zwillinge stehen in den Boxen und streicheln ihren Pferden über den Kopf. Wovon sie jahrelang geträumt hatten, nun ist es Wirklichkeit geworden. Auch wenn es der Traum von gestern ist, ihre Welt längst nicht mehr nur um Pferde kreist. Die Elternsehen sich zufrieden an. Sie werden sich schon eingewöhnen, ihre Töchter! In den nächsten Tagen machen sie erste gemeinsame Ausritte. Die Eltern geben sich große Mühe, Anne und Marie die neue Heimat schmackhaft zu machen. Mit einem Picknickkorb geht es an den Strand und dann am Wasser entlang um die Insel herum. Noch sind Sommerferien, der Regen hat sich verzogen, die Sonne scheint, das Meer lädt zum Baden ein. Sie jagen die Pferde durch das Wasser, toben ausgelassen am Strand entlang und genießen ihren Traum, in dem kein Platz ist für irgendwelche traurigen Gedanken.
    Zwei ganze Wochen geht es gut. Dann schleicht sich bei Anne die erste Langeweile ein, und nach vier Wochen Pferde, Strand und Meer findet sie alles nur noch ätzend langweilig.
    »So viel Natur auf einen Schlag kann doch niemand aushalten. Es gibt nicht einen Shop hier mit mehr als drei Regalbrettern!«, jammert sie.
    Bei den Eltern stößt sie damit auf wenig Verständnis. »Du wolltest doch auch hierher. Wir haben den Kaufvertrag erst unterschrieben, als du einverstanden warst!«, sagt der Vater verärgert.
    Mehr Verständnis findet Anne bei ihren Freundinnen, mit denen sie stundenlang chattet. Marie dagegen kümmert sich um die Pferde. Eine muss es ja tun. Beiden ist klar, dass die Zeit der großen Pferdeleidenschaft vorbei ist, aber dafür können die Pferde ja nichts.
    Je länger die Ferien andauern, desto weniger weiß Anne, warum sie eigentlich hierhergekommen ist. Sie findet einfach alles ätzend, so wie an dem Tag, als sie zum ersten Mal vom Plan ihrer Eltern hörte.
    »Kai? Schon vergessen?«, erinnert Marie sie dann.
    »Kai, pff, der ist doch Schnee von gestern. Das passiert eben. Man verliebt sich und dann entliebt man sich. Irgendwie war es kindisch, einfach abzuhauen.«
    »Ach, auf einmal? Hast du vergessen, wie fertig du warst?«
    Anne zuckt mit den Schultern. Wie gut, dass sie nicht ahnt, dass Kai nicht eine Sekunde in sie verliebt war!, denkt Marie und ist manchmal kurz davor, ihr die ganze Wahrheit zu sagen, wenn die Schwester wieder einmal alle mit ihrer schlechten Laune nervt. Aber in letzter Sekunde schreckt sie jedes Mal davor zurück. Es ist ein Unterschied, ob ein Junge Schluss macht, weil er nichts mehr empfindet, oder ob er Schluss macht, weil er seine Wette gewonnen hat, dass er ein Mädchen ins Bett bekommt.
    Vergessen sind die vielen schönen Ferientage von früher, die sie hier verbracht haben.
    Vor allem die Mutter erinnert Anne immer wieder vergeblich daran, wie glücklich sie doch hier gewesen ist. »Weißt du noch, wie du und Marie auf dem Reiterhof wart und ihr das Turnier gewonnen habt?«
    »Aber ich habe nie gesagt, dass ich hier leben will zwischen Kühen, Schafen und Kranichen. Vielleicht wenn ich hundert bin!«
    Nur mit Mühe lässt sie sich von Marie überreden, mit den Pferden auszureiten. »Die Pferde müssen bewegt werden. Los, komm schon, Anne.« Jeden Tag das gleiche Theater. Wenn sie dann endlich am Strand entlangreiten und das Wasser hoch aufspritzt, gibt es Momente, die Anne zu genießen scheint, aber spätestens wenn sie zurückkommen, ist es vorbei damit.
    Wiese an Wiese, Wald an Wald, dazwischen Moore. Nur eine

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