See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
Felsbrocken abbekommen hätte.
Während sie in Gedanken die letzten Sekunden zu rekonstruieren versuchte, spürte sie plötzlich eine Bewegung unter sich. Verwirrt sah sie nach unten und entdeckte ein Bein, auf dem sie lag. Vor Schreck riss sie die Augen auf. Schnell rutschte sie ein Stück zur Seite und fuhr herum.
Dabei blickte sie direkt in zwei braune Augen, die sie forschend aus einem staubigen Gesicht musterten.
»Wer …? Was …?«, stammelte Tess. Momentan war sie nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie wusste nur, dass sie den Mann, auf dem sie lag, noch nie vorher gesehen hatte.
»Das war ganz schön knapp«, bemerkte der Fremde trocken. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Tess sah ihn verwirrt an. Sie war immer noch völlig durcheinander. »Ich denke schon«, antwortete sie vorsichtig. Sie rieb die schmerzende Stelle oberhalb ihres linken Knies und verzog das Gesicht. »Ich habe einen Stein ans Bein gekriegt, aber es scheint nicht so schlimm zu sein.«
Ihr Gegenüber grinste. »Dann könnten Sie ja vielleicht von mir runtergehen«, schlug er vor.
»Äh …, ja …, natürlich«, stammelte Tess verlegen. Mühsam stand sie auf und rieb sich über das staubige Gesicht. »Bitte entschuldigen Sie, ich bin immer noch ein bisschen durcheinander.« Ihr Blick fiel wieder auf den großen Felsbrocken, der sie beinahe erschlagen hätte. Sie schluckte mühsam. »Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen bedanken. So wie es aussieht, haben Sie mir gerade das Leben gerettet.« Sie lächelte zaghaft und hielt dem Fremden ihre Hand hin. »Ich bin übrigens Tess, Tess Hennessey.«
Der Mann ergriff ihre ausgestreckte Hand. »Freut mich, Tess Hennessey. Mein Name ist Ryan MacIntyre.«
Fast unmerklich zuckte Tess bei dem Namen zusammen. Doch an der Reaktion ihres Lebensretters sah sie, dass er es bemerkt hatte. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie dennoch die Unwissende spielen sollte, entschied sich aber dagegen. In Anbetracht der Tatsache, dass er sie gerade gerettet und sich dabei selbst in Gefahr gebracht hatte, schien ihr das nicht fair zu sein. Also fragte sie ganz offen: »MacIntyre? Haben Sie etwas mit Susannah MacIntyre zu tun?«
Ryan nickte. »Sie war meine Schwester«, sagte er leise.
Bei der Trauer, die plötzlich in seiner Stimme lag, musste Tess schlucken. »Ich habe gehört, was mit ihr passiert ist. Es tut mir sehr leid.« Sie hoffte, dass es so ehrlich klang, wie es gemeint war.
»Danke.« Ryan nickte, dann sah er hinauf zur Felskante, von der der Steinschlag auf sie niedergestürzt war. »Wir haben wirklich großes Glück gehabt, dass nicht mehr passiert ist. Wenn ich mir die Brocken so ansehe, die da runtergekommen sind, war das ganz schön gefährlich.«
Auch Tess musterte die Felswand skeptisch. Sie war schon häufig darunter entlang gegangen. Dabei hatte sie natürlich die einzelnen Felsen gesehen, die unten verstreut lagen, aber sie hatte noch nie einen Steinschlag selbst miterlebt. Ihr saß der Schreck noch in den Gliedern und ihre Beine fühlten sich seltsam wackelig an.
»Seltsam, dass sich die Felsen so plötzlich gelöst haben«, meinte sie nachdenklich. Ich weiß, dass es bei starkem Regen gefährlich ist, sich an den steileren Uferabschnitten des Shadow Lake aufzuhalten. Aber es hat ja seit Tagen nicht geregnet. Normalerweise dürfte da absolut nichts passieren, jedenfalls habe ich noch nie davon gehört.« Den Schatten, den sie kurz vor dem Steinschlag gesehen zu haben meinte, erwähnte sie vorsichtshalber nicht. Ryan musste sie ja nicht gleich für paranoid halten.
»Vielleicht ist ja auch jemand da oben herumgeklettert und hat dabei die Lawine ausgelöst«, überlegte sie. Dann rieb sie die schmerzende Stelle, an der der Stein sie am Bein getroffen hatte. »Haben Sie eigentlich irgendetwas gesehen, bevor der Steinschlag runtergekommen ist? War da jemand?«
Etwas ratlos schüttelte Ryan den Kopf. »Einen Moment dachte ich, ich hätte einen Schatten oder so etwas gesehen, aber es ging alles so schnell. Beschwören könnte ich es nicht.«
Tess fuhr sich mit der Hand durch die Haare und nickte nachdenklich. Einen Moment kam ihr der Gedanke, dass sie sich tatsächlich schon jemanden zum Feind gemacht haben könnte, indem sie die Nachforschungen ihrer Tante fortführte. Aber das war natürlich kompletter Unsinn. Es wusste doch niemand davon.
Ryan sah sie skeptisch an. »Sie meinen, das war ein Anschlag? Haben Sie etwa Feinde in Shadow Lake?«, versuchte er zu
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