See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
scherzen.
Tess zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: »Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht so sicher.« Dann musste sie aber doch über seinen verwirrten Gesichtsausdruck lachen. »Ich denke, es war einfach ein unglücklicher Zufall. Aber was ist eigentlich mit Ihnen? Haben Sie mich verfolgt oder warum sind Sie so plötzlich hinter mir aufgetaucht?«
Jetzt musste auch Ryan grinsen. »Das könnte man sagen. Verfolgt trifft es sogar ziemlich genau. Ich wollte zum Seeufer runter, aber da ich mich hier nicht auskenne, hatte ich keine Ahnung, wie ich durch dieses Dickicht durchkommen sollte. Da habe ich zufällig Sie gesehen. Und als Sie den Weg in Richtung Wasser verlassen haben, bin ich einfach hinter Ihnen hergelaufen.« Er lächelte entschuldigend. »Sie haben den Eindruck gemacht, als wüssten Sie genau, wo es langgeht.«
»Das stimmt. Ich bin hier aufgewachsen. Früher war das Seeufer praktisch mein zweites Zuhause«, erklärte Tess. »Ich war zwar schon eine Weile nicht mehr hier, aber die Wege zum Wasser finde ich immer noch auf Anhieb.«
Einen Augenblick ließ sie den Blick über das Wasser schweifen, dann blickte sie wieder zu ihm auf. »Was wollten Sie eigentlich am Seeufer?«, erkundigte sie sich.
Wieder lag ein Anflug von Trauer auf Ryans Gesicht. »Wissen Sie, ich wohne an der Ostküste, in Boston. Nach dem Tod meiner Schwester im letzten Jahr hatte ich nicht die Möglichkeit, selbst hierher zu kommen. Ich habe alles telefonisch geregelt. Susannah wurde damals in ihre Heimat überführt und dort bestattet. Aber jetzt habe ich ein paar Tage frei und hatte genug Zeit, noch einmal über alles nachzudenken. Deshalb wollte ich mir auch einmal die Stelle ansehen, an der man sie damals gefunden hat.« Er lächelte traurig. »Es klingt vielleicht merkwürdig, aber irgendwie brauche ich das, um endlich mit der Sache abzuschließen.«
Tess merkte, dass sie trotz der relativ warmen Frühlingsluft zu frösteln begann. Sie schüttelte den Kopf. »Das klingt überhaupt nicht merkwürdig. Ich verstehe das sehr gut«, meinte sie leise. »Kommen Sie, ich führe Sie hin.«
19. Kapitel
Schon seit fast zwei Stunden stand Cristina Gomez an der Auffahrt des Highways und wartete darauf, dass irgendjemand sie mitnahm. Zum Glück war das Wetter gut. Die Sonne schien und es war trocken. Allerdings konnte es nicht allzu lange dauern, bis es gegen Abend langsam abkühlte. Sie hoffte, dass sie vorher ein wenig Glück hatte und einen Fahrer fand, der sie ein Stück mitnahm.
Als sich wieder ein Wagen näherte, strich sie sich die Haare aus der Stirn, setzte ein freundliches Lächeln auf und hielt ihr Pappschild hoch, auf das sie mit dickem schwarzen Stift gut leserlich das Wort Kalifornien gemalt hatte.
Der Fahrer blickte zwar in ihre Richtung, fuhr aber mit unverminderter Geschwindigkeit an ihr vorbei. Dabei schüttelte er noch missbilligend den Kopf.
Enttäuscht ließ Cristina ihr Schild wieder sinken und verzog das Gesicht. So ein blöder Idiot! Glotzen, aber nicht anhalten, diese Art von Leuten nervte sie am meisten. Übellaunig äffte sie das tadelnde Kopfschütteln nach. Wenn sie so etwas hätte sehen wollen, hätte sie auch gleich zu Hause bei ihren Eltern bleiben können. Die wussten ja auch immer alles besser.
Sie warf einen skeptischen Blick zum Himmel. Es war schon ganz schön spät und die Sonne stand recht tief. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis es dunkel würde. Sie seufzte. Wenn das so weiterging, würde sie heute gar nicht mehr hier wegkommen. Und dann? Sie überlegte, wo sie die Nacht verbringen konnte. Freunde hatte sie keine hier in der Nähe, dafür war sie schon zu weit weg von zuhause. Das Geld, das sie dabei hatte, würde zwar möglicherweise noch für eine Übernachtung in einem billigen Motel reichen. Aber eigentlich hatte sie gehofft, nicht alle Reserven aufbrauchen zu müssen, bevor sie in Los Angeles angekommen war.
Dass sie dort gut über die Runden kommen würde, da war sie sich sicher. Immerhin war Los Angeles die Stadt der Schönen und Reichen, da gab es bestimmt eine Möglichkeit, sich ein paar Dollar zu verdienen. Sie würde eine Menge einflussreiche Leute kennenlernen. Und dann würde es auch nicht lange dauern, bis sie für den Film entdeckt wurde. Sie wusste, dass es unzählige Mädchen gab, die denselben Traum hatten wie sie, aber sie hatte keinerlei Zweifel, dass sie es schaffen könnte. Sie war schließlich etwas Besonderes, nicht so wie die ganzen
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