See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
gezwungen, abzuhauen und allein mein Glück zu suchen«, sagte Cristina. Im Trotz hatte sie laut gesprochen.
Ein paar Minuten blieb sie noch sitzen, dann entschied sie, dass es wohl besser wäre, sich ein Quartier für die Nacht zu suchen. Sie stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose. Als sie wieder aufsah, bemerkte sie einen weiteren Wagen, der sich der Auffahrt näherte.
»Also gut, noch einen letzten Versuch«, murmelte sie leise und hielt wieder ihr Schild hoch. Das Lächeln gelang ihr dieses Mal nicht ganz so strahlend, aber es reichte aus. Wider Erwarten wurde der Wagen langsamer und stoppte direkt neben ihr.
Der Fahrer ließ das Fenster auf der Beifahrerseite herunter. »Na, wo soll es denn hingehen?«, fragte er freundlich.
»L.A. oder San Francisco«, gab Cristina zurück. Sie hoffte, dass ihr eingesetzter Charme seine Wirkung nicht verfehlen würde. »Aber das Ziel ist gar nicht so wichtig, Hauptsache ich komme in Richtung Süden weiter.«
Der Fahrer grinste. »So weit fahre ich zwar nicht, aber die Richtung stimmt schon. Wenn du willst, kann ich dich bis Shadow Lake mitnehmen.«
»Ja klar, gern.« Von dem Ort hatte Cristina zwar noch nie etwas gehört, aber jede Meile in Richtung Süden brachte sie ein Stückchen näher an ihr Ziel. So schnell sie konnte, schnappte sie sich ihren Rucksack, öffnete die Beifahrertür des Chryslers und ließ sich auf den weichen Ledersitz gleiten. Wenn sie erst einmal im Wagen saß, hatte der Typ kaum noch eine Möglichkeit, es sich anders zu überlegen.
Bei einem weiteren Blick auf den Fahrer wurde sie ein wenig verlegen. Er hatte ein markantes Gesicht und wirkte durchtrainiert. Sie musste zugeben, dass er ausgesprochen gut aussah, fast wie ein Filmstar. Wäre er ein paar Jahre jünger – oder sie ein paar Jahre älter gewesen, hätte sie sich glatt in ihn verlieben können. Etwas schüchtern lächelte sie ihn an.
Auch der Fahrer musterte sie forschend. Sein Blick glitt über ihren ganzen Körper und blieb dann wieder in ihrem Gesicht hängen. »Bist du nicht ein bisschen zu jung, um allein unterwegs zu sein?«, erkundigte er sich in skeptischem Tonfall.
»Wieso? Ich bin achtzehn«, log Cristina ohne Schwierigkeiten. Hoffentlich kam er nicht auf die Idee, einen Ausweis von ihr zu verlangen, oder sie sogar zur Polizei zu bringen. Es gab manchmal diese überfürsorglichen Typen. Sie versuchte, möglichst erwachsen zu wirken. »Mein Name ist übrigens Cristina«, sagte sie mit gespieltem Selbstbewusstsein.
»Also gut, Cristina, dann machen wir uns mal auf den Weg«, gab der Fahrer zurück. Und nach einem prüfenden Blick in den Rückspiegel gab er Gas.
20. Kapitel
Durch dichtes Unterholz bahnten sich Tess und Ryan ihren Weg zur Landzunge am Shadow Lake. Sie waren nicht so schnell vorangekommen, wie Tess gedacht hatte, da das schmerzende Bein ihr doch einige Probleme bereitet hatte. Auf ungefähr der halben Strecke kamen sie an einem umgestürzten Baumstamm vorbei.
»Wie wäre es mit einer kleinen Pause?«, schlug Ryan vor und wies mit einem Kopfnicken auf den Stamm. »Der hier würde sich bestimmt gut als Sitzgelegenheit machen.«
Dankbar ließ Tess sich auf den Baumstamm sinken. »Das kommt jetzt gerade recht«, meinte sie erleichtert. Sie zog das linke Hosenbein ein Stück hoch und sah sich die schmerzende Stelle genauer an. Es hatte sich bereits ein hässlicher, rot-blauer Bluterguss gebildet und das Bein war etwas angeschwollen.
Ryan zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Der Stein hat Sie ja ganz schön erwischt. Sind Sie sicher, dass Sie weitergehen wollen? Für mich wäre es kein Problem, umzudrehen und gleich zurückzulaufen. Der Rückweg ist wahrscheinlich schon anstrengend genug.«
»Nein, es geht schon. Es ist auch nicht mehr weit«, gab Tess schnell zurück. Sie wollte ihr Vorhaben jetzt unbedingt zu Ende führen. Und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie über Ryans Gesellschaft eigentlich ganz erleichtert war. Das war wesentlich besser, als allein zum Ort ihrer schrecklichen Erinnerungen zurückzukehren. Schon kurze Zeit später drängte sie ihn deshalb, ihren Weg fortzusetzen.
»Ich bin wirklich froh, dass Sie mir den Weg zeigen«, stöhnte Ryan, als er sich hinter Tess durch dichtes Gestrüpp drängte. »Ohne Sie hätte ich mich hier mit Sicherheit hoffnungslos verirrt.«
Je näher die beiden der Landzunge kamen, umso schweigsamer wurden sie. Tess spürte das Grauen von vor sieben Jahren wieder in sich aufsteigen,
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