See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
Durchschnittsblondinen, die es sonst in die Stadt der Engel zog.
Cristina grinste still vor sich hin. Es war schon immer ihr Traum gewesen, eines Tages nach Hollywood zu gehen und ein großer Star zu werden. Und jetzt war sie diesem Ziel näher als jemals zuvor. Sie würde berühmt werden, denn sie war anders als diese Einheitsschönheiten, die sonst immer in den Kinofilmen auftauchten. Mit der Hand fuhr sie sich durch die Haare. Von Natur aus waren diese schwarz, was ihre mexikanische Abstammung verriet. Daher hatte sie die rechte Seite lang gelassen. Glatt und glänzend fielen ihr die Haare über die Schulter. Die linke Seite dagegen hatte sie ganz kurz schneiden lassen und knallrot gefärbt. Zusammen mit den Piercings, die ebenfalls nur ihre linke Gesichtshälfte zierten, ergab das eine Mischung aus zwei ganz unterschiedlichen Typen. Manchmal hatte sie sich zuhause an ihrem Computer einen Spaß daraus gemacht, ein Foto von sich in der Mitte zu teilen und jeweils zu spiegeln. Dabei kamen dann einerseits eine brave, schwarzhaarige Schönheit und andererseits eine wilde Punklady heraus.
Mit einem süffisanten Lächeln dachte sie daran, wie es wohl aussehen würde, wenn sie von der Polizei aufgegriffen würde und man Bilder von ihr machte. Keiner würde glauben, dass die beiden Profilfotos von ein und derselben Person stammten.
Dann aber schob sie den Gedanken zur Seite. Mit der Polizei sollte sie lieber nichts zu tun haben, zumindest nicht in den nächsten Monaten. Wenn sie aber erst einmal 18 geworden war, stellte das ja auch kein Problem mehr dar. Dann konnte sie sowieso machen, was sie wollte.
Als ein bulliger Truck um die Ecke bog, schöpfte Cristina neue Hoffnung. Die Fahrer waren oft tagelang allein unterwegs, daher hatten die meisten nichts gegen ein bisschen nette Gesellschaft einzuwenden. Mit einem strahlenden Lächeln, das fast alle ihre blitzend weißen Zähne zeigte, hielt sie ihr Pappschild hoch.
Doch der Fahrer sah sie nur missmutig an, wischte sich mit dem Ärmel über die Nase und gab Gas. Wäre Cristina nicht mit einem schnellen Satz zur Seite gesprungen, hätte er sie vielleicht sogar angefahren. Die schwarze Hälfte ihrer Haare flatterte wild im Luftzug des Trucks.
»Du verdammter Hurensohn!«, brüllte Cristina dem Fahrer hinterher und gab ihm mit ein paar ziemlich unfeinen Gesten zu verstehen, was sie von ihm hielt.
Dann ließ sie sich enttäuscht auf dem Boden nieder. Sie zog die langen Beine in den Schneidersitz und lehnte den Kopf auf den Rucksack, der ihre wichtigsten Habseligkeiten enthielt. Einen winzig kurzen Augenblick überlegte sie, ob sie ihr Vorhaben nicht lieber aufgeben und nach Green Springs zurückkehren sollte. Wahrscheinlich würde ihr Geld gerade noch für das Busticket nach Hause reichen. Aber dann schüttelte sie energisch den Kopf. Nein, nichts war schlimmer, als bei ihren Eltern zu Kreuze kriechen zu müssen.
Die wir haben es dir ja gleich gesagt und du hättest besser gleich auf uns gehört -Sprüche konnte sie nicht mehr hören. Sicher, ihre Eltern machten sich nur Sorgen um sie und wollten immer nur ihr Bestes. Sie liebten ihre Tochter und würden alles tun, um sie zu beschützen. Doch gerade das war ja das Problem. Sie hatte diese Überfürsorglichkeit und die ständige Bevormundung endgültig satt. Deshalb war sie abgehauen. Hätte sie mehr Freiheiten gehabt, hätte sie auch mal ihre eigenen Erfahrungen sammeln und aus ihren Fehlern lernen dürfen, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Aber so hatte sie das Gefühl gehabt, in Green Springs einfach keine Luft mehr zu bekommen. Sie musste raus, um wieder atmen zu können.
Mit einem Anflug von Gewissensbissen dachte Cristina an ihre Eltern, die sich bestimmt schon schreckliche Sorgen um sie machten. Sie sah ihren Vater beinahe vor sich, wie er unruhig in der Küche auf und ab lief und sich die Haare raufte, während ihre Mutter auf der kleinen Eckbank saß und still vor sich hinweinte. Bei der Vorstellung spürte sie ein sehnsüchtiges Ziehen.
Andererseits waren sie ja eigentlich selbst schuld. Sie hätten sich ja auch nicht in so einem winzigen Kaff niederlassen brauchen. Wären sie damals nach L.A. gezogen oder wenigstens nach San Francisco, hätte Cristina ganz andere Möglichkeiten gehabt. Dort wäre sie als Latina auch nicht immer die Außenseiterin gewesen. Weiter südlich gab es viel mehr von ihrer Sorte. Dort hätte sie viel einfacher Freunde gefunden.
»Aber so habt ihr mich ja fast schon dazu
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