See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
Schulter zu sehen.
Tatsächlich breitete sich ein unangenehmer, süßlicher Geruch aus, aber Brandon bemerkte ihn kaum. Wie gebannt starrte er auf die Leiche, die vor ihm lag. Es war der Körper eines Mädchens. Sie konnte kaum älter gewesen sein als er. Und soweit er erkennen konnte, musste sie sehr hübsch gewesen sein, als sie noch gelebt hatte. Sie hatte eine schmale gerade Nase, volle Lippen und lange schwarze Haare. Aber jetzt hatte der Tod ihr Gesicht in makabrer Weise entstellt.
Obwohl Brandon sicher war, dass dieses Bild ihn sein Leben lang verfolgen würde, schaffte er es nicht, den Blick von den erstarrten Gesichtszügen zu lösen.
Dann runzelte er die Stirn. Unter einigen trockenen Blättern verborgen schimmerte etwas Rötliches. Als er genauer hinsah, erkannte er etwas Seltsames, das ihm vorher noch nicht aufgefallen war. Nur die eine Seite ihres Haars war lang und schwarz. Die andere Seite war kurz geschnitten und knallrot gefärbt.
31. Kapitel
Sheriff Oberlander wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Nur noch vier Monate hatte er bis zu seinem wohlverdienten Ruhestand zu arbeiten, und jetzt das! Ausgerechnet in seinem Bezirk musste die Leiche eines jungen Mädchens gefunden werden.
Vor etwas mehr als einer Stunde war der Notruf eingegangen. Ein Junge namens Brandon Cromby hatte berichtet, dass er und seine Freundin ein Stück außerhalb von Medford eine Tote entdeckt hatten, die jemand im Wald verscharrt hatte. Er war so aufgeregt gewesen, dass sich seine Stimme immer wieder überschlagen hatte. Erst nach mehrmaligem Nachfragen hatte Annie, die den Notruf entgegengenommen hatte, alles verstehen können. Da der angegebene Fundort gerade noch in Oberlanders Bezirk lag, hatte sie ihn sofort verständigt.
Es bestand kein Zweifel daran, dass das Mädchen im Wald nicht eines natürlichen Todes gestorben war. Neben der Tatsache, dass man sie von der Straße aus den Hang hinunter geschleppt und sorgfältig mit Blättern und trockenen Zweigen bedeckt hatte, sprachen die Drosselmale an ihrem Hals eine klare Sprache.
Der Sheriff seufzte und hakte beide Daumen in den Gürtel, der seinen imposanten Bauch umschloss. Seine letzten Wochen im Dienst hatte er sich geruhsamer vorgestellt.
Er war von Natur aus ein ruhiger, ausgeglichener Typ, keiner dieser durchgeknallten Actioncops, die man immer im Kino oder in Fernsehserien sah. Als man ihn vor vierzehn Jahren in seinem jetzigen Bezirk zum Sheriff gewählt hatte, war ihm das nur recht gewesen, gerade weil der Bezirk als ausgesprochen langweilig galt. Es reichte ihm völlig aus, sich mit Diebstählen, kleineren Einbrüchen und Kneipenschlägereien zu beschäftigen. Er hatte auch nichts gegen ein wenig Langeweile einzuwenden.
Aber in nächster Zeit war Langeweile sicher nichts, mit dem man rechnen musste.
Mit einem Anflug von Mitleid sah er zu dem Mädchen hinüber, das zusammen mit ihrem Freund die Leiche gefunden hatte. Genaugenommen war sie es gewesen, die die Hand des toten Mädchens als Erste gesehen hatte. Jennifer McNeill saß auf der Trage eines Krankenwagens, der an der Straße oberhalb der Lichtung abgestellt war. Sie zitterte am ganzen Körper, obwohl ein hilfsbereiter Sanitäter ihr eine Decke um die Schultern gelegt hatte und beruhigend auf sie einredete.
Sheriff Oberlander, dem sie ausführlich geschildert hatte, wie sie und ihre Freund auf die Leiche gestoßen waren, konnte gut nachempfinden, was jetzt in ihr vorging. Den Anblick der starren, bleichen Hand würde sie sicher nie wieder aus ihrem Gedächtnis löschen können. Wahrscheinlich hatten die beiden nur ein bisschen allein sein wollen, dachte Oberlander. Damit, dass sich ihre verliebte Zweisamkeit plötzlich in einen Horrortrip verwandeln würde, hatte sie mit Sicherheit nicht gerechnet. Trotzdem lächelte Jennifer dankbar, als der nette Sanitäter ihr einen Becher mit dampfendem Tee reichte.
Ihr Freund Brandon ging auf sie zu, setzte sich neben sie und legte tröstend den Arm um ihre Schultern. Er schien den Fund der Leiche besser zu verkraften, obwohl auch er wesentlich blasser aussah, als das wahrscheinlich normalerweise der Fall war. In ruhigem Ton hatte er dem Sheriff erzählt, wie er mit der Astgabel in dem Blätterhaufen gewühlt und dabei die Leiche des Mädchens freigelegt hatte.
Aber der Sheriff wusste, dass auch der Junge noch an dem Ereignis lange zu knabbern haben würde. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als er an all die schrecklichen
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