See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
passierte. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm zersplitterte die Scheibe des Wohnzimmerfensters hinter ihnen.
Instinktiv warf sich Ryan zu Tess hinüber und drückte ihren Kopf schützend nach unten, während er selbst den Kopf einzog und mit seinem Arm gegen die herunterprasselnden Glassplitter abschirmte.
Vor dem Sofa kauernd warteten die beiden ab, was als Nächstes passieren würde. Erst als es eine Weile ruhig geblieben war, wagten sie vorsichtig, ihre Köpfe zu heben.
»Bist du in Ordnung?«, erkundigte sich Ryan besorgt. Er sah abwechselnd zwischen ihr und dem zerbrochenen Fenster hin und her. Durch das große Loch strömte kühle Luft ins Zimmer und ließ die Vorhänge an den Seiten leicht schaukeln.
Tess nickte. Sie war völlig durcheinander. »Ich – ich glaube schon«, stammelte sie. Dann sah sie ihn entsetzt an. »Aber du bist verletzt, du blutest!«
Ryan tastete vorsichtig nach seiner Stirn, auf der sich ein dünnes rotes Rinnsal gebildet hatte. »Halb so schlimm«, wehrte er ab. »Das ist nur ein winziger Schnitt durch einen Glassplitter.«
Er setzte sich gerade auf und atmete hörbar aus. »Im ersten Moment dachte ich, irgendjemand hätte auf uns geschossen«, gestand er.
»Ich begreife gar nicht, was los ist. Was ist denn überhaupt passiert?«, fragte Tess immer noch verwirrt. Sie war leichenblass im Gesicht und zitterte am ganzen Körper.
Ryan stand auf und hob einen großen Pflasterstein auf, der unter den Wohnzimmertisch gerollt war. Prüfend wog er ihn in der Hand.
»Das ist passiert«, meinte er düster und hielt den Stein so, dass Tess ihn ansehen konnte. Ein weißer Zettel war mit einem Gummiband daran befestigt. »Ich würde sagen, jemand hat uns einen netten Gruß zukommen lassen.«
Er zog das Gummiband ab und faltete den Zettel auf. Nur ein einziges Wort stand darauf. Es war mit dicken schwarzen Großbuchstaben hingekritzelt worden: VERSCHWINDE!
Tess riss die Augen auf und schlug die Hand vor den Mund. »Wer macht denn so was?«, flüsterte sie entsetzt. Sie bemerkte gar nicht, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Ich habe doch niemandem etwas getan!«
Tröstend legte ihr Ryan den Arm um die Schultern. »Ich glaube nicht, dass das gegen dich persönlich geht«, meinte er nachdenklich. »Ich denke viel eher, dass wir da jemandem gefährlich nahe gekommen sind.«
Tess riss erstaunt die Augen auf. »Du meinst …?« Sie schluckte. »Du meinst, wir sind dem Mörder auf der Spur?«, flüsterte sie dann.
Ryan holte einmal tief Luft. »Könnte schon sein«, nickte er. »Auch wenn ich ehrlich gesagt noch überhaupt keine Ahnung habe, wer sich da angegriffen fühlt.«
Ratlos schüttelte Tess den Kopf. »Ich auch nicht«, gab sie zu. Fröstelnd schlang sie die Arme um sich. »Das Ganze macht mir inzwischen richtig Angst«, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln. Trotzdem stand sie auf und sah aus dem zerschmetterten Fenster. Draußen im Garten war alles dunkel, niemand war zu sehen. Selbst bei Greg Koborskis Haus rührte sich nichts. Entweder war er nicht zu Hause, dachte sie, oder – er hatte etwas mit dem Steinwurf zu tun. Tess spürte, dass sie eine Gänsehaut bekam. Was ging hier vor?
»Auf jeden Fall müssen wir für dich heute Nacht ein anderes Quartier finden«, unterbrach Ryan ihre Gedankengänge. Er war hinter sie getreten und sah ebenfalls misstrauisch in den Garten hinaus. »Hier kannst du nicht bleiben, das wäre viel zu unsicher. Wer weiß, was als Nächstes kommt. Außerdem kann durch das kaputte Fenster jederzeit jemand ins Haus kommen.«
Tess verzog missmutig das Gesicht. Es passte ihr gar nicht, dass es jemand schaffte, sie aus ihrem eigenen Haus zu vertreiben. Aber ihr Verstand sagte, dass Ryan mit seiner Einschätzung richtig lag. Also nickte sie bedrückt. »Ich fürchte, du hast recht. Heute Nacht würde ich hier bestimmt keine Sekunde schlafen können«, stimmte sie zu. Sie zwang sich zu einem gequälten Lächeln. »Vielleicht hat Hank Friday ja noch ein Zimmer im Lakeview Inn für mich frei.«
»Und wenn nicht«, ergänzte Ryan mit einem vielsagenden Grinsen, »kannst du gern mit in mein Zimmer ziehen.«
33. Kapitel
Greg Koborski tippte nervös mit den Fingerspitzen auf die Platte des kleinen Küchentresens. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er sich zusammenzureimen, was in den letzten Stunden passiert war.
Wie immer in den letzten Tagen hatte er das Nachbarhaus im Auge behalten. Seine regelmäßigen Blicke aus dem Küchenfenster waren
Weitere Kostenlose Bücher