See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
Anblicke dachte, die er in seinem Leben schon in sich hatte aufnehmen müssen. Die meisten davon als junger Polizist in Chicago. Manche davon war er nie wieder losgeworden. Selbst nach den vielen Jahren, die seitdem vergangen waren, schreckte er nachts manchmal noch aus dem Schlaf hoch, weil ihn die Schatten seiner Vergangenheit einholten.
Joe Simmons, einer seiner Leute, riss ihn abrupt aus seinen Gedanken.
»Der Gerichtsmediziner ist jetzt fertig mit der ersten Untersuchung«, berichtete er und schob sich seine Kappe aus der Stirn. Er hat die Leiche zum Transport freigegeben.«
»Gut.« Oberlander kratzte sich an der Schläfe. »Lass sie nach Medford in die Gerichtsmedizin bringen«, wies er Joe an. Als dieser sich bereits wieder abwenden wollte, hielt er ihn zurück. »Äh, Moment noch, was ist mit der Untersuchung der Umgebung? Hat sich da was ergeben?«
»Soweit ich weiß, ist der direkte Fundort komplett untersucht. Was wir gefunden haben, haben wir eingetütet und ans Labor geschickt. Aber das umliegende Gelände wird noch durchkämmt. Vorhin ist Chris Turner mit seinem Hund angekommen. Er ist jetzt unten unterwegs. Vielleicht findet der Köter ja was.«
»Wollen wir es hoffen«, murmelte Sheriff Oberlander und entließ Joe mit einem kurzen Kopfnicken.
Ihm stand einiges an Arbeit bevor. Zuerst mussten sie herausfinden, wer die Kleine überhaupt war. Bei dem auffälligen Äußeren des Mädchens sollte das eigentlich kein Problem sein. Wenn sie als vermisst gemeldet worden war, hatten sie damit leichtes Spiel. Aber das war natürlich nur der erste Schritt, dem umfangreiche Ermittlungen folgen würden. Er stöhnte leise auf, als er daran dachte, was in den nächsten Tagen und Wochen auf ihn zukam.
Er hoffte, den Mord so bald wie möglich aufzuklären. Das war er der Familie des Mädchens gegenüber schuldig. Er wusste, dass ein nicht aufgeklärtes Verbrechen für die Angehörigen eines Opfers noch viel schwerer zu verkraften war als eines, bei dem der Täter dingfest gemacht und verurteilt worden war. Der Schmerz der Hinterbliebenen war aber nicht das Einzige, was ihn in diesem Moment beschäftigte. Die Vorstellung, sich mit einem ungelösten Fall in den Ruhestand zu verabschieden, schmeckte ihm gar nicht.
Er sah auf, als ein Auto angefahren kam und direkt vor seinem Streifenwagen hielt. Ein hochgewachsener Mann mit Halbglatze und eine zierliche blonde Frau steigen aus. Es waren Jennifers Eltern, die ihre Tochter abholen wollten. Sofort stürzten beide auf das verunsicherte Mädchen zu, umringten sie und redeten aufgeregt auf sie ein. Jennifer schien mit der Situation völlig überfordert zu sein. Sie brach in Tränen aus und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Wie zwei Bodyguards geleiteten ihre Mutter und ihr Vater sie zu ihrem Wagen.
Sheriff Oberlander zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als er beobachtete, dass Jennifers Eltern den Freund ihrer Tochter keines Blickes würdigten. Anscheinend waren sie nicht gerade begeistert über die Beziehung. Der Sheriff wunderte sich darüber, denn er hatte vorher noch wohlwollend zur Kenntnis genommen, wie rührend sich Brandon um seine Freundin gekümmert hatte.
Schließlich zuckte er die Achseln und wandte sich wieder Joe zu. Er hatte im Moment wirklich andere Probleme zu lösen als die Beziehungskonflikte von zwei Teenagern und deren Eltern.
Gerade als Brandon im Geländewagen seines Vaters abgeholt wurde – der Wagen seiner Mutter, mit dem die beiden gekommen waren, stand noch unten auf dem Parkplatz – ertönte plötzlich lautes Hundegebell aus dem Wald. Es hielt über eine Minute an, bis Chris Turner seinen Hund anscheinend wieder beruhigt hatte. Aber auch danach waren noch die aufgeregten Rufe mehrerer Männer zu hören.
Der Sheriff starrte angestrengt in die Richtung, aus der der Lärm kam. »Habt ihr was gefunden?«, rief er einem seiner Männer zu, der eben eilig aus dem Wald gestapft kam.
»Allerdings«, gab dieser völlig außer Atem zurück und stützte sich keuchend mit den Händen auf seine Knie. Entweder war er sehr schnell den Berg hochgerannt oder einfach nur schlecht in Form. »Der Hund hat was entdeckt, das Sie sich unbedingt ansehen sollten.«
Mit einem flauen Gefühl im Magen folgte Sheriff Oberlander dem Deputy den Berghang hinab. Da es keinen Weg gab und sie sich durch das dichte Unterholz und dorniges Gestrüpp kämpfen mussten, kamen sie nur langsam voran. Trotzdem erreichten sie schon nach wenigen Minuten die Stelle, an der der
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