Seegrund
Pläuschchen gehabt? Ist eine ziemlich einseitige Angelegenheit!« Dann drehte er sich um und ging grußlos.
Kluftinger schlug die Augen auf und klappte sie sofort reflexartig wieder zu. Zu früh, viel zu früh. Er hatte ganz und gar nicht gut geschlafen. Immer wieder hatte er sich hin und her gedreht, die Bettdecke gewendet, weil ihm zu warm war, und schließlich zweimal Erika angestoßen, als diese leicht geschnarcht hatte. Dann war es ihm zu stickig geworden und er hatte ein Fenster gekippt, woraufhin er fror und sich in völliger Dunkelheit eine Wolldecke aus dem Schrank holte.
Erst in den frühen Morgenstunden hatte er ein wenig Schlaf gefunden, war aber schnell wieder aufgewacht, als Erika das Bett verließ und ins Bad ging. Und nun schepperte ihm der alte Radiowecker blechern aus seinem kleinen Lautsprecher »Jingle Bells« entgegen. Weihnachten stand vor der Tür – auch das noch! Mürrisch tastete er nach der »Snooze«-Taste, deren genaue Bedeutung der Kommissar zwar nicht kannte, die aber – so hatte ihn die Erfahrung gelehrt – den infernalischen Krach, nach dem sich selbst sein Lieblingssender »Bayern 1« so früh am Tag anhörte, für neun Minuten unterbrach. Kluftinger drehte sich auf die andere Seite und schlief gleich darauf wieder ein. Drei solcher »Umdrehphasen« hatte er seit Jahren eingeplant, bis es wirklich Zeit wurde, aufzustehen – ganz zum Leidwesen seiner nicht berufstätigen Frau, die dadurch ebenfalls bereits um Viertel nach sechs hellwach war. Nur an Tagen, die überhaupt nichts Gutes verhießen, gönnte sich der Kommissar ein weiteres Mal »Snooze«. So wie heute.
Nicht nur, dass ihm ein neuer mysteriöser Fall bevorstand. Auch spürte er die ersten Vorboten einer Erkältung aufziehen. Kein Wunder, hatte er doch gestern viel zu lang in der Kälte gestanden. Beim Schlucken kratzte es leicht im Hals und er verspürte einen permanenten Niesreiz.
Schließlich wälzte er sich ächzend aus dem Bett und ging zum »G’wandsessel«, einer Sitzgelegenheit, die seit dem ersten Tag, an dem sie im Schlafzimmer gestanden hatte, von Kleidung bedeckt war. Kluftingers Vortagsgarderobe – einschließlich Unterhose und Socken – befand sich noch darauf. Er zog diese komplett wieder an. Dann kramte er im Schrank seinen alten Lodenmantel heraus. Er war zwar an den Ärmeln zu kurz und spannte um den Bauch. Aber sein aktueller, den er gestern dem Verletzten übergeworfen hatte, war ja noch nicht gereinigt worden. Die Leute vom Krankenhaus hatten ihm das Kleidungsstück gestern in einer Tüte mitgegeben. Kluftinger war sich nicht sicher, wie viele Waschgänge es brauchen würde, bis er wieder hineinschlüpfen konnte, ohne eine Gänsehaut zu bekommen.
Nach seiner Morgentoilette ging er etwas weniger schlecht aufgelegt in die Küche. Er fragte sich, warum Erika heute schon so früh aufgestanden war. Seit Markus aus dem Haus war und sie nur noch ihren Mann zu versorgen hatte, blieb sie fast immer liegen, bis er mit der Zeitungslektüre fertig war und bereits seinen ersten Pulverkaffee getrunken hatte. Es hatte sich eingebürgert, dass er das Frühstück herrichtete: Pulverkaffee, zwei Tassen, zwei Brettchen, vier Scheiben Schwarzbrot, Butter, ein Glas Marmelade, Dosenmilch und zwei Messer. Jeden Tag. Ein Umstand, den Kluftinger gern in Diskussionen über sein angeblich mangelndes Engagement im Haushalt anführte.
Heute aber roch es bereits nach frisch aufgebrühtem Filterkaffee. Sie war vermutlich aufgestanden, weil es ihm nicht ganz so gut ging und wollte ihn ein wenig verwöhnen. Kluftinger lächelte. Er liebte sie – auch weil sie nach so vielen Jahren noch immer so um sein Wohlergehen besorgt war. Mit einem warmen Gefühl im Magen öffnete er die Küchentür.
»Ja so was, du bist ja schon auf! Guten Morgen«, trällerte er vergnügt. Erika stand an der Arbeitsplatte und presste Orangen aus. Was Kluftinger in der Küche sah, ließ ihn all die Unbill des anbrechenden Tages vergessen: Sie hatte ihm ein Verwöhnfrühstück zubereitet, das seinesgleichen suchte. Auf dem Tisch stand Joghurt, den Kluftinger zwar nicht mochte, der aber dekorativ aussah; Obstsalat war in einer Schale angerichtet, auf zwei Holzbrettchen fanden sich Wurst und Käse. Er erblickte neben drei Gläsern Konfitüre sogar ihr gutes Honiggefäß in Form eines gelben Bienenstocks aus Porzellan. Selbst das Früchtebrot, das Erika zwei Tage vorher gemacht hatte, weil Markus es in der Vorweihnachtszeit so gerne aß, hatte seine
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