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Seehaie

Seehaie

Titel: Seehaie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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er
tun? Der Kerl sah nicht so aus, als wäre ihm an einem gemütlichen
Plauderstündchen gelegen. Mit Schrecken wurde er sich seiner Situation bewusst:
auf fremdem Gelände, in einem fremden Fahrzeug, noch dazu ohne
Durchsuchungsbeschluss – das erfüllte mindestens den Tatbestand des
Hausfriedensbruchs, wenn nicht mehr. Da nützte ihm auch sein Dienstausweis
nichts. Im Gegenteil, damit würde er sich zum Gespött der Kripo Überlingen
machen. Ich muss verhandeln, mich irgendwie herausreden, ihm notfalls Geld
anbieten, überlegte er fieberhaft und stieg dem Mann hinterher.
    Als er den Boden erreichte, wurde es offenkundig: Der
Kerl war nicht nur groß, der Kerl war riesig – jedenfalls im Vergleich zu
Kalfass, der mit seiner Brille und dem dunklen Jackett eher einem schmächtigen
Intellektuellen glich.
    »Was suchst du, hä?«, fragte der Verschwitzte
schleppend, während er an seiner Zigarette kaute.
    In diesem Moment gebar Kalfass’ vernebeltes Hirn einen
möglichen Ausweg aus seiner misslichen Lage. »Wissen Sie, ich interessiere mich
für Großfahrzeuge, da wollte ich so was unbedingt mal angucken. Die Gelegenheit
hat unsereiner ja eher selten …« Dabei rang er sich ein gequältes Lächeln ab.
    »Großfahrzeuge … aha! Du bist nicht hinter Ploc her?«
    Der Schlag kam ohne Vorwarnung. Wie ein Dampfhammer
rammte der Riese seine Rechte in Kalfass’ Magen. Der höllische Schmerz riss ihm
den Oberkörper nach vorne. Ein Aufwärtshaken folgte, dann noch einer. Kalfass’
Kiefer knackte, stöhnend ging er zu Boden, beide Hände auf den Leib gepresst.
Er lag, mit dem Gesicht nach unten, buchstäblich vor seinem Gegner im Staub.
Und wie bei den alten Römern die Gladiatoren nach gewonnenem Kampf setzte der
Riese ihm nun den rechten Stiefel in den Nacken.
    Es war merkwürdig: Obgleich körperlich am Ende, waren
Kalfass’ Sinne unnatürlich geschärft. Er roch den Staub, den sein Fall
aufgewirbelt hatte, spürte jeden Stein unter seinem Körper, hörte die schrillen
Rufe entfernter Blesshühner.
    Plötzlich drang eine zweite Stimme in sein Ohr. »Hat
er etwas an sich genommen?«
    »Konnte ich gerade noch verhindern, Bruno.« Das war
eindeutig die Stimme des Riesen.
    »Gut. Leg ihn ans Seeufer.«
    Kalfass wurde an den Armen gepackt und über den
Erdboden geschleift. Wieder erklang die zweite Stimme: »Starek hier. Wir haben
ihn ausgeschaltet …« Der Rest des Telefonats verlor sich in undeutlichem
Gemurmel.
    Es
dämmerte bereits, als Kalfass wieder zu sich kam. Er hob den Kopf, wollte sich
aufrichten. Es ging nicht. Ihm war schlecht, er hatte Bauchschmerzen, und sein
Hirn wurde von dunklen Trommelwirbeln malträtiert. Also blieb er noch einige
Minuten liegen, ehe er sich wenigstens auf den Rücken drehen und mit den Händen
seinen Kiefer betasten konnte.
    Irgendwann gelang es ihm, sich aufzusetzen. Er
musterte seine Umgebung. Undeutlich nahm er einen schmalen Kiesstrand wahr,
plätschernde Wellen, die Geräusche der Baustelle. Langsam kehrte sein
Gedächtnis zurück. Er schloss die Augen, und schlagartig hatte er alles wieder
vor sich.
    Wut stieg in ihm hoch. Verdammte Sauhunde, elende! Das
war Angriff auf einen Polizeibeamten. Fortan würde er es sich zur Lebensaufgabe
machen, dieses Pack hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die Voraussetzungen
waren gut: Er kannte das Aussehen des Haupttäters, dazu den Namen eines
zweiten, es würde ein Leichtes sein … Oder etwa doch nicht? … Wenn es nämlich,
wofür sie sicher gesorgt hatten, keine Zeugen gab? … Oder wenn sie behaupten
würden, er selbst habe den Vorfall provoziert? Verdammte Scheiße aber auch!
    Mit großer Anstrengung hob er den Arm und blickte auf
die Uhr: Es war kurz vor sechs Uhr abends. Er versuchte, sich aufzurappeln und
schaffte es bis in die Hocke. Plötzlich fiel er zurück auf den Boden, und sein
Körper begann zu zittern – nicht vor Schmerzen, sondern weil ihn ein
triumphierendes Lachen schüttelte: »Hatte ich also recht! Die Kerle haben
wirklich Dreck am Stecken!«, lispelte er. Es hörte sich an wie »haddichssorecht
dkerlhawirchdrckamsteck«.
    ***
    Seit
zehn Minuten versuchte Karin Winter vergeblich, an nähere Informationen über
den Brand in Qualles Haus zu kommen. Weder die Stockacher Feuerwehr noch die
Pressestelle der Kripo Überlingen konnte – oder wollte? – ihr helfen. Als
Nächstes hatte sie versucht, Hauptkommissar Wolf anzurufen, bekam ihn jedoch
nicht an die Strippe.
    Ob sie sich an Marsberg wenden sollte?

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