Seehaie
wollte er in Konstanz beginnen. Auf
eigene Faust, versteht sich, denn erstens hatte er keinerlei Rückendeckung,
geschweige denn einen Auftrag von oben. Und zweitens brauchte er dringend einen
persönlichen Ermittlungserfolg, um in der Polizeihierarchie endlich, endlich
eine Stufe weiterzukommen. Er hatte sich nun wahrlich lange genug die Hacken
abgelaufen.
Wolfs Rapport beim »großen Zampano« war ihm da gerade
recht gekommen. Er flunkerte Jo etwas von einer dringlichen Inspektion an
seinem Wagen vor und dass er für den Rest des Tages freinähme, um Überstunden
abzubauen. Eine halbe Stunde später war er auf der Fähre, und kurz nach zwei
Uhr stellte er in der Nähe der Einfahrt der Corso-Baustelle seinen Wagen ab.
Zunächst wollte er sich einen Überblick verschaffen und erst dann über seine
weitere Vorgehensweise entscheiden.
Auf dem Gelände herrschte emsiges Treiben. Er zählte
etwa fünfzehn Baukräne, die hin und her fuhren, sich drehten und mit
unüberhörbarem Relais-Knacken die verschiedensten Lasten anhoben und am Ort
ihrer Verarbeitung wieder absenkten. Alle Augenblicke fuhren Baulaster, Fertigbetonfahrzeuge
oder Betonpumpen an ihm vorbei. Behelmte Männer waren mit Stahlarmierungen,
Schalungen oder dem Aufrichten von Stahlträgern beschäftigt.
Kalfass lief einmal quer über das Gelände, ohne dass
ihn jemand aufhielt. Er hatte es besonders auf die großen Transporter
abgesehen. Ploc und Juratovic, das wusste er, hatten beide einen
Sechsunddreißig-Tonnen-Muldenkipper von Caterpillar gefahren. Einen solchen
hatte er aber bislang noch nicht entdeckt.
So beschloss er, aufs Geratewohl einen Fahrer anzusprechen.
Das erwies sich jedoch als ziemlich schwierig: Den Leuten war wohl eingebleut
worden, dass ein Fahrzeug seine Kosten nur wieder reinholt, wenn es rollt.
Endlich sah er vor sich einen stehenden Kipper, dessen Fahrer hinten an der
Mulde hantierte. Kurzerhand ging er auf ihn zu.
»Ich suche Ploc.«
Der Fahrer sah ihn an, als käme er von einem anderen
Stern. »Ploc?«, antwortete er mürrisch und ohne seine Tätigkeit zu
unterbrechen. »Ploc tot!« Er hörte sich an, als stamme er ebenfalls aus Polen.
»Und sein Kollege Juratovic?«
»Auch tot. Sonst noch was?«
Die Frage war eher rhetorischer Natur. Noch während
sie gestellt wurde, eilte der Fahrer nach vorne, um sich in das Führerhaus zu
schwingen.
»Ich dachte, das hier sei Plocs Fahrzeug«, rief ihm
Kalfass hinterher.
»Ist nicht. Steht dort hinten.« Der Mann deutete in
Richtung Seeufer und ließ den Motor an. Kalfass dankte und drehte sich in die
angegebene Richtung. So entging ihm, dass der Fahrer zu seinem Handy griff. »Da
fragt einer nach Ploc«, gab der lapidar seinem Gesprächspartner durch und
blickte Kalfass hinterher. »Will sich sein Fahrzeug ansehen.« Dann unterbrach
er die Verbindung auch schon wieder.
Kalfass war inzwischen an der Brachfläche am Ufer
angelangt, auf der mehrere Fahrzeuge unterschiedlicher Größe abgestellt waren.
Eines davon entsprach dem Modell aus dem Polizeibericht, war also vermutlich
von Ploc oder Juratovic gefahren worden. Hinter der Windschutzscheibe des
riesigen Fahrzeugs fand er schließlich den Beweis: Auf einem Schild stand
unübersehbar: »Stani«.
Ein prüfender Rundblick – niemand war in der Nähe!
Kalfass raffte all seinen Mut zusammen und stieg auf der Beifahrerseite nach
oben. Er hätte selbst nicht genau sagen können, wonach er suchte. Im besten
Falle nach Aufzeichnungen, vielleicht einem Fahrtenbuch, irgendetwas, das im
Zusammenhang mit dem Tod der beiden Fahrer stand.
Natürlich war die Tür abgeschlossen. Oder doch nicht?
Tatsächlich, sie klemmte nur, ließ sich schließlich öffnen, und er schlüpfte
hinein. Eine Weile schaute er sich im Fahrerhaus nur um. Es gab eine ganze
Reihe von Ablagen, Fächern, Seitentaschen, teils mit leeren
Zigarettenschachteln, Zeitungen, Plastikbeuteln oder sonstigem Müll gefüllt,
teils ohne Inhalt. Alles wirkte ziemlich chaotisch und verschmutzt.
Eben wollte Kalfass in eines der Fächer greifen, als
die Beifahrertür aufgerissen wurde. Ein vierschrötiger, dunkelhäutiger Typ
schob sich vor die Öffnung, eine brennende Zigarette zwischen den Lippen, den
Oberkörper mit einem stark verschwitzten T-Shirt bedeckt, das erschreckend gut
ausgebildete Muskeln an Brust und Oberarmen umspannte.
»Rauskommen«, quetschte der Dunkelhäutige zwischen den
Zähnen hervor und stieg wieder hinunter.
In Kalfass’ Kopf rasten die Gedanken. Was sollte
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