Seehaie
dreigliedrige Grundriss
ist an Schlichtheit nicht zu überbieten …«
»Weißt du was, Ernst: Lass uns einfach essen gehen. An
mir sind heute alle kulturhistorischen Erkenntnisse verschwendet.«
Daraufhin waren sie nach draußen gegangen, wo Sommer
vor ihrem Abmarsch nach Maurach noch einen Blick über den abendlichen See
werfen wollte. Nun standen sie auf dem Platz vor der Birnau, dem wohl schönsten
Aussichtsbalkon am Bodensee, und sogen die darunterliegenden Weinhänge mit dem
ehemaligen Kloster Maurach förmlich in sich auf – wenigstens hatte Sommer das
gerade eben noch getan. Seine Augen glitten über die funkelnde Seefläche
hinüber zur Insel Mainau, hinter der die Konstanzer Uni und der Wasserturm
hervorspickten. Links davon erfasste sein Blick den ausladenden Obersee, dessen
jenseitige Ufer sich im Dunst verloren, während direkt gegenüber Litzelstetten
und Dingelsdorf wie zwei Spielzeugdörfer inmitten saftiger Obsthänge
hingestreut lagen. Kein Wunder, dass der romantisch angehauchte Sommer ins
Schwärmen geriet.
»Einfach hinreißend, diese Aussicht!«, versuchte er
ein letztes Mal, den Freund von seinen trüben Gedanken abzubringen.
»Jaaa«, meinte Wolf gedehnt, »ganz ordentlich.« Ohne
näher darauf einzugehen, setzte er sich in Bewegung.
Sommer schloss auf und blickte Wolf skeptisch an. »Was
ist los, Leo?«, fragte er, als sie wenige Meter gegangen waren. »Dich bedrückt
doch etwas. Gibt es Probleme bei eurem Fall? Jetzt rück schon raus!«
»Probleme gibt’s immer«, grummelte Wolf, »aber so wie
diesmal war’s noch nie. Ich kann nicht das geringste Licht am Ende des Tunnels
erkennen. ›Niemand ist der, der er zu sein scheint‹, hast du vor einigen Tagen
gesagt, und dass wir uns nicht nur auf Hohmann konzentrieren sollen. Gut und
schön. Aber alle Fäden führen nun einmal zu Hohmann. Mein Gott, wenn ich nur an
die Durchsuchung denke … so beschissen wie danach hab ich mich in meinem ganzen
Leben noch nicht gefühlt.«
»Ich nehme an, ihr habt auch den Baudezernenten
vernommen?«
»Klar. Siebecks Aussage war absolut deckungsgleich.
Hohmann ist einfach zu glatt.«
»Ich versteh dich ja. Trotzdem musst du weitermachen,
Leo. Auch Hohmann macht einmal einen Fehler. Aber denk immer dran: Er ist nicht
der Nabel der Welt.«
»Du mit deinen kryptischen Bemerkungen. Die helfen mir
auch nicht weiter.«
»Ich will ja nicht ablenken, Leo, aber es würde mich
brennend interessieren, wie Patzlaff sich dir gegenüber verhält.«
Wolf stutzte einen Moment. »Warum interessiert dich
das?«, fragte er misstrauisch.
»Ist nur so ein Gedanke. Also?«
Wieder dauerte es ein paar Sekunden, ehe sich Wolf zu
einer Antwort entschloss: »Meiner Meinung nach kannst du Patzlaff als
Kripoleiter abschreiben! Schlimmer noch, er ist uns sogar regelrecht in den
Rücken gefallen. Wenn’s nach ihm ginge, könnten wir gegen Hohmann nur
weiterermitteln, wenn der auf offener Straße einen Mord beginge.«
»Interessant!«
»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«
»Nun, sagen wir so: Auch Patzlaff ist nicht der, der
er zu sein scheint.«
14
Man konnte Kalfass manch Schlechtes
nachsagen, nicht aber, dass er sich durch Äußerlichkeiten von seiner Arbeit
abhalten ließ. Der gestrige Zusammenstoß mit dem brutalen Hünen hatte seine
Spuren hinterlassen, doch es war ihm gelungen, die Verletzungen am Kinn
zumindest notdürftig zu kaschieren. Ganz unsichtbar machen konnte er sie jedoch
nicht.
Natürlich hagelte es dumme Bemerkungen von Seiten der
Kollegen. Jo hingegen war überraschend gnädig. Zwar empfing auch sie ihn mit
fragendem Blick, als aber keine Erklärung kam, bemerkte sie lediglich: »War
wohl nicht ganz einfach, die Inspektion gestern.«
Selbst Wolf meinte, einen Witz machen zu müssen. »Sind
Sie vom Pferd gefallen, Ludger? Wusste gar nicht, dass Sie reiten.«
Kurz gesagt, es war erniedrigend. Vollends peinlich
wurde es, als er seinen Kaffee nicht wie gewöhnlich aus der Tasse trank,
sondern einen Strohhalm benutzen musste.
Kalfass beschloss, alle Anfeindungen zu ignorieren,
griff zum Telefon und wählte die Nummer der Hohbau G mb H .
»Ja, guten Morgen, hier ist Müller von der
Ortskrankenkasse Markdorf. Könnte ich bitte jemand aus Ihrer Personalabteilung
haben?« Während er auf die Verbindung wartete, übersah er geflissentlich Jos
Stirnrunzeln. Eine Frauenstimme meldete sich. »Guten Morgen, Müller hier von
der AOK Markdorf«, wiederholte er. »Wir stimmen
gerade die Personalien einiger unserer
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