Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seehaie

Seehaie

Titel: Seehaie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
Vom Netzwerk:
Opfer
eines eiskalt durchgeführten Anschlags geworden, dessen war er sich sicher.
    »Sieh an, Mahmoud al Khasri. Dann dürfte Starek nicht
weit sein, stimmt’s? Ich frage mich, ob Sie noch alle Tassen im Schrank haben,
Mann, so loszubrettern und dann auch noch rechts rüberzuziehen. Wenn Sie
vorhatten, uns in die Grube zu jagen, wär es Ihnen fast gelungen. Ihr
Sündenregister wächst: erst die Prügelei, dann das hier. Sie können sich schon
auf eine weitere Anzeige gefasst machen.«
    »Möchte Sie sehen, wenn Sie
hier oben am Steuer sitzen, mit eingeschränktem Sichtfeld«, antwortete der
Marokkaner unbeeindruckt.
    »Ich habe gehupt, ist Ihnen das auch entgangen?«
    Mahmoud zuckte mit den Schultern. »Wer spazieren fährt
auf dem Baugelände, macht das auf eigenes Risiko. Steht vorne an der Einfahrt.
Nicht gelesen?«
    Kalfass musste an sich halten, um nicht zu
explodieren. Es brauchte einige Sekunden, bis er sich wieder in der Gewalt
hatte.
    »Sie hören von uns. Und ich bin mir ziemlich sicher,
dass Sie danach Ihre Heimat schneller wiedersehen, als Ihnen lieb ist.«
Wutentbrannt stieg er wieder nach unten.
    »Donnerwetter, das war ja ‘n Ding«, zollte ihm
Kronberger Anerkennung. »Gott sei Dank haben Sie richtig reagiert. Kompliment.«
    Kalfass atmete erst einmal tief durch. Wie häufig nach
übergroßem Stress setzte die Reaktion mit Verspätung ein. Nur mit Mühe konnte
er ein Zittern unterdrücken. »Wie weit noch?«, fragte er Kronberger. Das Lob
des Architekten hatte ihm gutgetan.
    »Vor uns, gleich nach der Baugrube, beginnt der
Bauabschnitt eins, da müssen wir hin. Parken Sie neben dem Turmkran.«
    Nachdem Kalfass den Wagen abgestellt hatte, stiegen
sie aus. Wieder standen sie vor einem mehrgeschossigen Rohbau, in dem
Handwerker gerade mit dem Einsetzen von Fenstern und Türen beschäftigt waren.
Auch am Dach wurde gearbeitet. Hoch über ihnen schwenkte gerade der Ausleger
des Krans herüber und nahm eine Palette mit Ziegeln an den Haken. Ein Laster
mit Stahlmatten fuhr vorbei.
    Kronberger zeigte auf einen Eingang rechts vor ihnen.
Dorthin setzten sie sich in Bewegung.
    Wenn Kalfass nach dem Vorfall mit dem Muldenkipper
geglaubt hatte, sein Konto an Überraschungen sei für heute ausgeglichen, so
hatte er sich gewaltig geirrt. Diesmal jedoch rettete ihnen nicht seine Kaltblütigkeit das Leben. Da ihm –
verständlicherweise – das Geräuschspektrum einer Baustelle fremd war, entgingen
ihm die Vorzeichen des kommenden Unheils.
    Nicht so Kronberger. Der wusste die Arbeitsgeräusche
eines Krans zu deuten: das Knacken der Schalter und Relais, das Sirren an Turm
und Ausleger, das Jaulen von Motorwinde und Laufkatze. Was genau ihn stutzig
machte, konnte er später nicht mehr sagen. Er wusste nur, dass da oben
irgendetwas nicht stimmte. Er hob den Kopf – und stieß einen Schreckensruf aus.
Entsetzen zeichnete sein Gesicht. Direkt über ihnen schwebte die Palette – und
löste sich in ebendiesem Moment vom Haken. Kronberger riss Kalfass mit sich,
und das keine Sekunde zu früh. So oder ähnlich musste sich ein
Meteoriteneinschlag anhören, dachte Kalfass noch, als zwei Tonnen Ziegel auf
dem Boden aufschlugen und in Millionen und Abermillionen tönerne, nadelspitze
Splitter zerbarsten.
    Die nachfolgende Stille währte nur kurz. Dann klangen
erregte Rufe durcheinander, von allen Seiten näherten sich rasche Schritte.
Kalfass bekam davon wenig mit. Er hatte nur Augen für den Kran, suchte eine
Gestalt hoch oben in der Führerkabine, wollte sehen, wem sie das ganze
verdammte Schlamassel zu verdanken hatten. Doch die Kabine war leer!
    Kronberger, der Kalfass’ Blicken gefolgt war, stieß
ihn an und deutete nach vorne. »Sie suchen an der falschen Stelle«, sagte er.
»Der Kran wird vom Boden aus bedient. Sehen Sie, dort, links vom Turm – da
steht der Kranführer.«
    Tatsächlich, jetzt sah ihn Kalfass auch. Der Mann
hatte bis eben noch, einem Bauchladen gleich, den Kasten mit der Fernsteuerung
vor sich hergetragen. Nun streifte er mit hastigen Bewegungen die Gurte ab,
warf das Ding achtlos zur Seite und nahm seine Beine in die Hand.
    Schon wollte Kalfass sich an seine Fersen heften, als
ihn Kronberger zurückhielt.
    »Sie haben mich doch nach Starek gefragt …«
    »Was ist mit ihm?«
    »Ich glaube, das war er!«

21
    Auch wenn Kalfass seinen Tatendurst später
weniger auf Courage als auf seine unbändige Wut zurückführte: Nun gab es für
ihn kein Halten mehr! Er rannte los und zog Kronberger mit sich.

Weitere Kostenlose Bücher