Seehaie
schmerzendes Kinn. Erneut nahm er sich vor,
das Geheimnis um diese dubiose Figur zu lüften, koste es, was es wolle. Wolf
würde Augen machen …
Sie betraten den Container mit der Aufschrift
»Bauleitung« und kämpften sich zu Wiegand, dem Bauleiter, durch.
»Guten Tag! Kriminalobermeister Kalfass, Kripo
Überlingen.« Kalfass hielt Wiegand seinen Dienstausweis unter die Nase. »Herrn
Kronberger kennen Sie ja«, meinte er mit einem Blick auf den Architekten. »Im
Zusammenhang mit dem Brandanschlag und den Todesfällen sind noch einige
Recherchen erforderlich. Wir sehen uns mal auf Ihrer Baustelle um, wenn’s recht
ist.«
Wiegand hob nur kurz den Blick. »Ist uns überhaupt
nicht recht. Aber wir können’s jawohl kaum verhindern, was?«
Selbst Kalfass, obwohl von Haus aus alles andere als
dünnhäutig, konnte die Feindseligkeit spüren, die ihm entgegenschlug. Das
sollte der Mann sein, den Wolf ihm unlängst als außerordentlich kooperativ
beschrieben hatte? Was hatte sich verändert? »Gäbe es einen Grund, es zu
verhindern?«, fragte Kalfass betont lässig. Als keine Antwort kam, fügte er mit
spöttischem Unterton hinzu: »Na, sehen Sie.« Im Hinausgehen sah er aus den
Augenwinkeln, wie Kronberger den Bauleiter mit einem schnellen Seitenblick
streifte und kaum dabei merklich mit den Schultern zuckte. Kalfass hatte
verstanden: Sorry, sollte das heißen, der Auftritt ist mir peinlich, aber ich
kann nichts dafür.
»So, wo sind denn nun die Demoobjekte, die Sie mir
zeigen wollten?«, fragte Kalfass aufgeräumt.
»Kommen Sie mit.« Kronberger dirigierte Kalfass zu
einem mehrgeschossigen Rohbau, nicht weit von den Containern entfernt, wo sie
über eine Betontreppe ins Untergeschoss hinabstiegen. Dort angelangt, leuchtete
er mit einer starken Taschenlampe auf den Boden.
»Hier, die Oberkante dieses Fußbodens zum Beispiel
sollte eigentlich vierundvierzig Zentimeter tiefer liegen. Das heißt, das
Niveau des Fundaments weicht an dieser Stelle gegenüber den Planzeichnungen um
fast einen halben Meter ab! Ohne erkennbaren Grund – und vor allem ohne
Absprache mit uns. Eine Riesenschlamperei! Die haben wohl gedacht, wir checken
das nicht. Natürlich können Sie das so gar nicht erkennen, und vielleicht
werden Sie das Ganze sogar mit einem Achselzucken abtun. Aber die Treppe, die
wir soeben herabgestiegen sind, ist auf den Plänen mit zwölf Stufen
eingezeichnet, und jetzt hat sie nur noch zehn, Sie können gerne nachzählen.
Und wenn Sie denken, auf zwei Stufen mehr oder weniger käme es nicht an:
richtig! In Wirklichkeit geht es aber nicht um die beiden Stufen, sondern
darum, dass das ganze Beziehungsgeflecht zwischen Bauhöhen, Bauvorschriften und
Baugrenzen einerseits und den vorliegenden Genehmigungen andererseits aus den
Fugen gerät. Schließlich sind wir nicht nur für die Planung, sondern auch für
die Ausführung verantwortlich, und irgendwann wird der Bau ja auch abgenommen.
Sie glauben gar nicht, welchen Rattenschwanz an nachträglichen Änderungen und
Anpassungen so eine Schlamperei nach sich zieht – von dem immensen
Haftungsrisiko einmal ganz zu schweigen.«
»Sie haben das natürlich moniert?«
»Selbstverständlich. Aber da war es bereits zu spät,
für einen Abriss sind die Termine viel zu eng. Also mussten wir die Planung
tangierender Gebäudeteile den neuen Maßen anpassen …«
»… wodurch vermutlich zusätzlicher Aufwand
entstand?«
»Klar! Aber das eigentlich Üble daran ist, dass Sie
das Vertrauen in die Bauausführenden verlieren.«
Sie stiegen wieder nach oben. »Beispiele dieser Art
gibt es noch mehrere«, führte Kronberger währenddessen aus. »Das gravierendste
zeige ich Ihnen jetzt. Es liegt in dieser Richtung. Aber ich warne Sie, der Weg
dorthin zieht sich.«
»Gut, dann fahren wir«, entschied Kalfass und stieg in
den Wagen.
Es ging quer über das riesige Baugelände. Lärm und
Staub erfüllten die Luft, Arbeiter mit gelben Schutzhelmen armierten Decken
oder verschalten Wände. Mehrere Betonpumpen brachten Fertigbeton ein. Besonders
beeindruckend fand Kalfass nach wie vor die überdimensionalen Muldenkipper. Da
vorne, links gegenüber der Baugrube, stand wieder so ein Ungetüm. Müsste Spaß
machen, so ein Ding mal zu fahren, dachte er und ging mit der Geschwindigkeit
etwas herunter, um das Gefährt genauer betrachten zu können. Auf diesem Teil
des Baugeländes war so gut wie kein Betrieb, sodass er sich gefahrlos auf das
Objekt seiner Begierde konzentrieren
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