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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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etwas einzukaufen?«, fragte ich beiläufig. »Du hattest keine großen Vorräte, als ich zuletzt da war.«
    »Du machst dir Sorgen wegen meiner Kochkünste, stimmt‘s?«, sagte Rad. »Du denkst an diese Dose mit Frankfurtern.« Angesichts solcher Scharfsinnigkeit konnte ich es schlecht leugnen. »Ich hab dir doch gesagt, es sind nicht meine«, sagte er.
    »Ich bin kein anspruchsvoller Esser«, erklärte ich zu meiner Verteidigung. »Aber mein Geschmack hat sich seit den Zeiten des ›Greasy Dogs‹ weiterentwickelt.«
    »Meiner auch«, sagte Rad. »Meine Kochkünste leider nicht. Deshalb wird es nur Spaghetti mit Pesto geben, wenn das für deinen weiterentwickelten Geschmack nicht zu primitiv ist.«
    »Das ist wunderbar.«
    »Am Sonntag in einer Woche feiert Mum ihren sechzigsten Geburtstag«, sagte Rad plötzlich, als wir durch Richmond Park fuhren. »Kommst du?« Er versuchte gerade, mit einem Papiertaschentuchfetzen, den ich aus dem Handschuhfach ausgegraben hatte, die Windschutzscheibe von innen zu wischen. Obwohl die Autoheizung voll aufgedreht war, war sie den Dampfwolken nicht gewachsen, die aus unseren nassen Kleidern kamen.
    »Das würde ich sehr gern«, sagte ich und spähte durch eine faustgroße durchsichtige Stelle auf die Straße.
    »Alle werden da sein - außer Frances natürlich. Ich meine, Dad wird da sein ...« Er verstummte.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich gelassen. »Ich würde sie alle gern sehen.«
    »Ich weiß, Mum würde dich sehr gern wieder sehen. Und Lawrence. Er hat mir heftig zugesetzt, als wir, na ja, den Kontakt verloren haben.«
    Ich lächelte bei der Vorstellung, dass wir »den Kontakt verloren« hatten, und selbst nach dreizehn Jahren freute mich die Vorstellung, dass Rad zugesetzt worden war. »Keine Radleys zu sein war ein starkes Band zwischen uns«, sagte ich und dann: »Sechzig. Ich kann es kaum glauben. Ist sie grau?«
    »Unten drunter«, sagte Rad. Er sah aus dem Fenster auf den Verkehr, der sich im Kriechtempo durch den Park bewegte. »Liegt es an mir, oder gibt es heute mehr Autos? Der Stoßverkehr scheint den ganzen Tag über anzuhalten.«
    »Es wird immer schlimmer«, stimmte ich zu.
    »Macht mich stolz, dass ich kein Auto habe.«
    »Ja«, antwortete ich. »Viel bessere Idee, sich von jemandem mitnehmen zu lassen, der eins hat - so kann man sich überlegen fühlen, ohne den Bus nehmen zu müssen.«
    Er warf mir einen Blick zu, der Klugscheißer sagte, und fing an, meine klassischen Kassetten durchzusehen, die in das Fach im Armaturenbrett gezwängt waren.
    »Wer ist der größte Komponist?«
    »Mozart«, sagte ich, ohne eine Sekunde zu zögern. »Wer ist der größte Philosoph?«
    »Hume«, sagte er. »Aber ich habe den Kurs nie zu Ende gemacht.«
    Darüber musste ich einfach lachen. »Was hast du denn getan, damals in Durham?«
    »Ich weiß nicht mehr. Ich glaube, ich hatte eine Art Zusammenbruch. Nach Birdies Tod bin ich grade so durch das Herbsttrimester gekommen, gewissermaßen schlafwandelnd, aber an Weihnachten bin ich leicht durchgedreht. Ich war so besessen vom Tod, dass ich in nichts mehr einen Sinn sah - essen, arbeiten, aufstehen, ins Bett gehen. Mum hat mich zu einer Psychotherapeutin in Battersea geschickt. Sie hat nur mit gefalteten Händen da gesessen und ab und zu mit einer Gegenfrage auf meine Fragen geantwortet, und nach etwa drei Monaten rechnete ich aus, was es gekostet hatte, und dachte, Gott, dafür hätte ich um die Welt reisen und mehr Antworten bekommen können, deshalb habe ich damit aufgehört. Dann, als mir die Idee mit dem Reisen erst mal gekommen war, fing ich an, über den Voluntary Service Overseas nachzudenken, und sechs Monate später war ich in Indien.«
    »Man sollte meinen, sie versuchen, die Leute auszusieben, die nur vor etwas weglaufen.«
    »Ich bin nicht nur weggelaufen. Aber ich glaube, etwa neunzig Prozent der Freiwilligen, die ich unterwegs getroffen habe, sahen die ganze Sache als eine Art Fremdenlegion.«
    »Wie lange warst du denn dort?«
    »Zwei Jahre. Dann kam ich zurück und bekam einen Job bei diesem Trockengebiet-Projekt, und nach ein paar Jahren im Büro wurde eine Stelle im Senegal frei.«
    »Und jetzt bist du hier.«
    »Ja. Hier bin ich«, sagte er, aber er klang nicht sehr überzeugt.
    Auf dem Hausboot zündete Rad den Calor-Gasofen an und hing unsere Mäntel über einen wackeligen Wäscheständer davor. Er besah sich meine Jeans, die wie seine von den Knien bis zu den Knöcheln patschnass war, verschwand in

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