Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
schließlich. Lusa überlegte kurz, ob sie sich das gerade eben ausgedacht hatte. »Als wir jedenfalls eines Morgens nach draußen kamen, um zu fressen, da lag er ganz still unter seinem Lieblingsbaum. Vorher hatte er immer den ganzen Tag in den Ästen gesessen, aber an diesem Morgen lag er dort einfach auf dem Boden. Wir liefen zu ihm und stießen ihn an mit unseren Tatzen und Nasen, aber er rührte sich nicht. Sein Geruch hatte sich verändert. Er war tot.«
Lusa und Yogi versuchten sich den Schauder, der über ihren Rücken jagte, aus dem Pelz zu schütteln.
»Die Flachgesichter kamen und brachten ihn weg, aber wir konnten fühlen, dass seine Seele noch hier war. Sie zischte die ganze Zeit um uns herum wie der Wind. Unser Fell begann zu kribbeln und unsere Tatzen brannten. Und dann, als die Sonne hinter dem Rand des Geheges versank, sahen wir etwas sehr Merkwürdiges in der Rinde des höchsten Baums im Wald.«
»Was war das?«, fragte Yogi mit großen Augen.
»Es war das Gesicht eines Bären«, sagte Stella. »Ihr könnt es auf der Seite sehen, die zu den Bergen zeigt. Die Seele von Alter Bär lebt weiter in diesem Baum.«
Lusa und Yogi starrten voller Ehrfurcht zu dem Baum hin. Ob die Seele von Alter Bär sie wohl sehen konnte? Lusa dachte, dass sie nicht gern in einem Baum eingeschlossen wäre. Es war ihr doch sehr viel lieber, Tatzen zum Laufen und eine Nase zum Riechen zu haben.
»Komm, lass uns nach dem Gesicht suchen«, schlug Lusa vor und lief mit Yogi zu dem großen Baum. Sie stapften einmal ganz herum, musterten aufmerksam alle Knoten im Stamm. Plötzlich verharrte Lusa und erhob sich auf die Hinterbeine.
»Ich glaube, ich sehe es«, rief sie, aufgeregt die Rinde anstarrend. »Ich sehe ein Gesicht!«
Yogi stellte sich neben sie. Er legte den Kopf schief. »Ich sehe gar nichts«, knurrte er.
»Schau doch hin, da«, beharrte Lusa und fuchtelte mit den Tatzen. »Siehst du, das ist sein Auge und da –« Als sie sich vorbeugte, um auf den kleinen, schwarzen Punkt zu klopfen, der wie eine Bärennase aussah, bewegte er sich plötzlich!
»Er lebt!«, schrie Lusa auf und machte einen Satz nach hinten. »Alter Bär kommt aus dem Baum heraus!« Sie flüchtete zum nächsten Felsblock, ihr Herz klopfte wie wild. Doch als sie sich umdrehte, wälzte sich Yogi brüllend vor Lachen auf dem Boden.
»Was ist denn so komisch?«, fragte Lusa verärgert.
»Das war ein Käfer«, prustete Yogi. »Du bist vor einem Käfer davongelaufen!«
»Oh.« Lusa setzte sich hin und leckte sich etwas verschämt die Tatze. »Ja, ja, das wusste ich doch, dass das ein Käfer war.«
In diesem Moment hörten die Bären eine Stimme, die ihre Namen in der Flachgesichtersprache rief. Zwei der Fütterer waren mit der Abendmahlzeit ans Geländer gekommen. Grunzend vor Vergnügen rannte Yogi sofort hinüber und die anderen Bären folgten ihm. King stemmte sich gemächlich hoch und trottete hinterher. Er fraß immer als Letzter, und Lusa wusste, genau wie die anderen Bären, dass sie die am wenigsten verfaulte Frucht für ihn übrig zu lassen hatte, weil er der größte und älteste Bär im Gehege war.
Lusa stöberte in den Beeren herum und suchte sich die aus, die ihr am besten schmeckten. Mit einem Schnalzgeräusch langte einer der Pfleger nach unten und kratzte ihr den Rücken mit einem langen Stock. Lusa wand sich zufrieden und ließ ihn an all die Stellen heran, die sie juckten. Sie war noch immer satt von der Morgenmahlzeit, daher war es ihr relativ egal, ob sie heute Abend noch viel zu fressen bekam.
Als die Flachgesichter zu dem Grizzlybären weitergingen, fand Yogi einen fauligen Apfel, den er in Lusas Richtung schob.
»Igitt!« Lusa kickte den Apfel umgehend zurück. »Auf dieses vergammelte Zeug kann ich verzichten.«
»Na, na«, sagte Stella. »Das ist ja wohl keine Art, Respekt vor unserer Nahrung zu zeigen.«
»Zeigen wir denn Respekt vor ihr, wenn wir sie fressen?«, fragte Lusa vorlaut. Sie hatte Stellas »Respekt«-Vorträge oft genug gehört, aber es fiel ihr nach wie vor schwer zu glauben, dass es eine Verbindung geben sollte zwischen edlen Bärenseelen und den Obststücken, die ihnen die Flachgesichter zuwarfen.
»Was die Natur gibt, das solltest du immer mit Respekt behandeln«, sagte Stella. »Selbst dann, wenn du es frisst. Man kann nie wissen, ob nicht die Seele eines Bären darin steckt.«
»Oh, nein!« Lusa tat so, als sei sie total entsetzt. »Eine Bärenseele! So was will ich auf gar keinen Fall fressen!
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