Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
aufgehoben wären, im Laufschritt zurücklegen.
»Es ist sehr weit weg«, brummte Nisa. »Viel zu weit für uns.« Ihre schwarzen Augen starrten in die Ferne, der silberne Schimmer des Mondes spiegelte sich in ihnen. »Aber vielleicht müssen wir diese Reise antreten … eines Tages.«
»Wirklich? Wann denn?«, wollte Kallik wissen, doch Nisa legte den Kopf auf die Tatzen und verstummte. Sie wollte offensichtlich keine weiteren Fragen beantworten. Kallik schmiegte sich zusammengerollt an die Seite ihrer Mutter und betrachtete das Schimmern des Mondes auf dem Eis, bis ihr die Augen zufielen. In ihren Träumen erhoben sich Bärenseelen vor ihr und begannen zu tanzen, sie tollten und glitten über die gefrorene Landschaft auf Tatzen, die so leicht waren wie ein Fellhaar.
Ein seltsames Ächzen weckte Kallik am nächsten Morgen. Es klang, als würde ein Bär laut gähnen oder als würde der Wind unter Wasser heulen, aber die Luft war unbewegt und das Geräusch kam vom Eis her, nicht vom Himmel. Ihre Mutter war bereits wach und trottete mit erhobener Nase im Kreis herum.
Kallik rappelte sich hoch und schüttelte sich. Ihr Pelz war feucht und fühlte sich schwer an und auch die Luft war klamm und weich, nicht mehr frisch und klar wie letzte Nacht. Sie drehte sich zu ihrem Bruder um, der neben ihr auf dem Eis lag und anscheinend noch schlief. Sie stieß ihn mit der Schnauze an.
»Walrossattacke!«, brüllte Taqqiq, sprang plötzlich auf und stieß sie um. Nisa wirbelte fauchend herum, doch als sie sah, dass ihre Jungen nur spielten, entspannte sie sich wieder.
»Seid still«, knurrte sie. »Taqqiq, hör auf, dich wie eine Schneegans zu benehmen. Zum Spielen ist jetzt keine Zeit. Wir müssen weiter.« Ohne sich umzublicken, setzte sie sich in Bewegung. Kallik und Taqqiq mussten sich sputen, um mit ihr Schritt zu halten. Nisas gereizte Stimmung machte Kallik nervös. Gestern hatten sie noch herumtollen und Spaß haben dürfen – warum wurden sie heute dafür ausgeschimpft?
Das Ächzen begann von neuem, während sie über das Eis wanderten. Nisa blieb stehen und wandte lauschend den Kopf. Das Geräusch, das sich so anhörte, als würde das Eis unter ihnen stöhnen, wurde lauter. Kallik konnte erkennen, dass ihre Mutter wusste, was das für ein Geräusch war, und dass es etwas sehr Unangenehmes bedeutete.
Plötzlich ertönte ein lautes Krachen und ein schrecklicher, saugender Laut. Kallik fühlte, wie der Boden unter ihren Tatzen kippte. Sie wurde umgerissen und rutschte unvermittelt über das Eis, das nicht mehr flach war, sondern sich steil zum dunklen Wasser hinabneigte. Mit einem entsetzten Kreischen versuchte Kallik sich festzuhalten, doch ihre Krallen glitten hilflos an der glatten Oberfläche ab.
Dann wurde sie von einer gewaltigen Tatze gepackt und auf festes Eis zurückgeschleudert. Von Nisa angeschoben, floh Kallik stolpernd vor dem Riss im Eis, wo die Wellen gierig gegen den neuen Rand klatschten.
»Wow!«, japste Taqqiq. »Das Eis ist einfach durchgebrochen! Kallik, ich dachte echt, du würdest vom Meer verschluckt und wir würden dich nie wiedersehen!«
Nisa fauchte vor Verdrossenheit. Kallik spähte um die Beine ihrer Mutter herum und sah, dass das Eis in zwei große Stücke zerbrochen war, die bereits auseinandertrieben.
»Jetzt schon?«, murmelte Nisa. »Aber wir sind doch noch gar nicht lange auf dem Eis! Wie sollen wir an Land überleben, wenn wir vorher nicht genügend Zeit haben, um zu jagen?« Sie lief an der Bruchkante des Eises auf und ab und knurrte die Wellen an, die gegen ihre Tatzen schlugen.
»Mutter?«, wimmerte Kallik. »Was ist los? Ist es … ist der Feuerhimmel gekommen?«
»Es ist zu früh für den Feuerhimmel«, sagte Nisa. »Aber die Eisschmelze fängt jedes Jahr früher an. Wir haben immer weniger Zeit zum Jagen.« Sie schnaubte wütend. »So kann es nicht weitergehen.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Kallik. »Was wird aus uns, wenn das Eis zu schnell schmilzt?«
Nisa antwortete nicht, sondern strich nur grummelnd mit der Tatze über den Rand des Eises.
»Sollten wir aufs Festland ziehen?«, fragte Taqqiq. »Das ist es doch, was wir machen müssen, wenn das Eis schmilzt, nicht wahr?«
»Nein.« Nisa hob die Schnauze. »Wir müssen weiterjagen, sonst werden wir die langen, hungrigen Monate des Feuerhimmels nicht überleben.«
»Aber …«, setzte Kallik an, während sie das wogende Wasser und das zerbrochene Eis betrachtete. Wenn nun das Eis ganz wegschmolz, bevor sie
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