Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)
keuchte er, »vielleicht kann dann die Wildnis überleben.«
Ujurak nickte. »Ich verspreche es.« Egal was, solange es Tulugaq nur am Leben erhält. »Ich hole Eva«, setzte er rasch hinzu.
Die Hand des Alten, dünn und knochig wie die Klaue eines Vogels, packte Ujuraks Arm mit unvermuteter Kraft. Ujurak sah ihn überrascht an und stellte fest, dass ihm Tränen aus den Augen liefen.
»Ist schon gut«, flüsterte er dem Alten mit vor Mitgefühl zitternder Stimme zu. »Ich werde tun, was ich kann.«
Tulugaq schüttelte den Kopf. »Auch deine Zeit ist gekommen«, flüsterte er. »Ich wünschte, es wäre nicht so.« Noch einmal letzte Kräfte sammelnd, fügte er hinzu: »Suche nach mir, wo die Selamiut sind, und ich werde dich zwischen den Sternen finden.«
Er drückte Ujuraks Hand, dann erschlaffte sein Griff. Ein tiefer Seufzer entfuhr seiner Brust. Seine Augen waren noch auf Ujurak gerichtet, aber das Licht in ihnen war erloschen. Der Schreck ließ Ujurak für einen Moment erstarren, bevor er sich wieder gefasst hatte.
»Auf Wiedersehen, Tulugaq.« Ujurak drückte dem Alten sanft die Augen zu. Dann neigte er seinen Kopf über den toten Leib und überließ sich seinem Schmerz.
Eine Bewegung im Innern des Iglus ließ ihn auffahren. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen verstrichen war. Als er den Kopf hob, sah er Eva. Ihr leidvoller Blick war auf den Leichnam ihres Großvaters gerichtet. »Ich wusste, dass er bald sterben würde«, flüsterte sie. »Aber ich dachte, er würde noch ein bisschen länger bei uns bleiben.«
»Es tut mir so leid«, sprudelte es aus Ujurak heraus. »Ich habe versucht, ihm zu helfen.«
Eva nickte, eine Hand auf seine Schulter gelegt. »Ich weiß. Er war ein alter, sehr alter Mann. Ich bin froh, dass er in Frieden gegangen ist.«
Eben das ist er nicht, dachte Ujurak. Er wusste, dass etwas Schreckliches auf der Insel geschieht, und er wollte, dass ich es verhindere. Aber wie? Ich hätte noch so viele Fragen an ihn!
Während Eva über den Leichnam ihres Großvaters gebeugt war, sein Gesicht bedeckte und damit begann, Kräuter aus einem Beutel neben dem Bett um ihn herum zu arrangieren, schlüpfte Ujurak aus dem Iglu. Seiner eigenen Spur folgend, kehrte er zu Akakas Iglu zurück, das zum Glück immer noch leer war. Nachdem er die geliehenen Kleider ausgezogen hatte, trat er, zitternd im eisigen Wind, wieder ins Freie.
Während er sich im Laufschritt entfernte, verwandelte er sich wieder in einen Braunbären, doch zum ersten Mal fand er keine Freude daran, in die vertraute Gestalt zurückzukehren. Mit jedem Muskel, jedem Nervenstrang seines Körpers fühlte er die Krankheit des Raben, die Qual des Inuitjungen, den Hunger der Eisbären und die Verwirrung der Karibus, deren Weideplätze von der stinkenden schwarzen Ölflut überschwemmt wurden.
An diesem Ort stirbt die Wildnis schneller als überall sonst!
20. KAPITEL
Toklo
Toklo stapfte mit einem Schneehuhn zu ihrer Höhle zurück. Der zarte Körper mit seinen zerzausten weißen Federn hing ihm schlaff aus dem Maul. Auf seiner Erkundungstour hatte er keine Hinweise darauf gefunden, dass sie von Eisbären verfolgt wurden, dafür war er auf dem Rückweg praktisch über den Vogel gestolpert. Zufrieden konnte er festhalten, dass sein Ausflug immerhin zu etwas gut gewesen war.
Dieser klägliche Vogel ist verdammt klein, dachte er, aber besser als gar nichts. Auf jeden Fall besser als die elenden Pflanzen, die Lusa immer ausgräbt!
Als Toklo die Höhle erreichte, sah er nur Lusa, die mit Kissimi ein Spiel spielte, das darin bestand, dass er ihr immer wieder gegen die Tatzen knuffte. Als sie Toklo kommen sah, schob sie das Junge sanft zur Seite und rappelte sich hoch.
»Bist du Ujurak und Kallik begegnet?«, fragte sie beunruhigt.
Toklo schüttelte den Kopf, dann legte er das Schneehuhn vor dem Höhleneingang ab. »Sind sie nicht da? Ich dachte, sie wären schon längst zurück.«
»Nein. Ich mache mir langsam wirklich Sorgen.« Lusa leckte Kissimi sanft über den Rücken, als wolle sie ihn beruhigen.
Toklo kroch in die Höhle und schob Lusa die Beute hin, damit sie sie teilen konnten. Er riss einen Fetzen Fleisch ab, den er Kissimi vorsetzte.
»Sieh mich nicht so an«, sagte er schroff, als er Lusas Blick auf sich spürte. »Wir laufen seinetwegen um unser Leben. Wäre alles umsonst, wenn er stirbt.«
Unwillig sah er zu, wie das kleine Junge an dem Fleisch schnüffelte, dann seine Zähne hineinschlug und unbeholfen daran
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