Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)
herumkaute. Plötzlich blinzelte Toklo. Kissimis feines weißes Fell schwand vor seinen Augen, um gleich darauf von den struppigen braunen Flanken seines Bruders Tobi ersetzt zu werden.
»Igitt!«, beklagte sich das Junge.
»Aber du musst fressen.« In einem Anflug von Panik versuchte Toklo, ihm gut zuzureden. »Wenn du nichts frisst, stirbst du.«
Doch das Junge spuckte den angekauten Fleischbissen wieder aus, wandte den Kopf ab und ließ ein klägliches Jammern hören.
Toklos Angst wurde von aufschäumender Wut verdrängt. »Friss!«, knurrte er. »Wir riskieren unser Leben für dich! Verstehst du das nicht?« Er baute sich vor dem Jungen auf, das mit einem entsetzten Fiepen zurückzuckte, und hob drohend seine mächtige Pranke.
In diesem Moment spritzte Schnee am Höhleneingang auf. Einen Polarhasen zur Seite schleudernd, den sie im Maul getragen hatte, stürzte Kallik sich auf Toklo. Ihr Blick war wild und sie schien völlig erschöpft.
»Was tust du da?«, fauchte sie Toklo an und fletschte die Zähne. »Lass Kissimi in Ruhe!«
Von Wut und Verdrossenheit überwältigt, wollte Toklo seinerseits auf sie losgehen, doch bevor er seine Tatze zum Schlag erheben konnte, warf Lusa sich zwischen die beiden.
»Hört sofort damit auf!«, rief sie erbost. »Toklo, raus hier. Du machst Kissimi Angst.«
Sie drängte Toklo zum Höhleneingang. Belämmert stolperte er nach draußen. Seine Wut legte sich, und ihn schauderte, als er wieder Herrschaft über seine Sinne erlangte. Es war gar nicht Tobi, es war Kissimi, von Anfang an. Ein heilloser Schrecken ergriff ihn, als er sich bewusst machte, dass er vielleicht noch einmal würde zusehen müssen, wie ein kleiner Bär starb.
Aus der Höhle hörte er Kallik, die ein mächtiges Theater veranstaltete. »Kissimi! Alles in Ordnung? Hab keine Angst, der gruselige Braunbär ist weg.« Sie beschnupperte das Fell des Jungen. »Oh, du hast etwas gefressen! Danke, dass ihr ihm was abgegeben habt«, sagte sie zu Lusa.
»Ja, natürlich haben wir ihm was zu fressen gegeben!«, erwiderte Lusa entrüstet. »Er kann ja nichts dafür!«
Kallik murmelte etwas Unverständliches, aber Toklo hoffte, dass es ihr wenigstens peinlich war, sie alle in Gefahr gebracht zu haben. Und dass sie endlich aufhörte, ihnen, den Freunden, zu unterstellen, sie sähen ihr Junges lieber tot als lebendig.
»Oh, Kallik, Kissimi ist ja vielleicht schlau.« Lusa machte offensichtlich den Versuch, ihre Freundin abzulenken und die Spannung aus der Höhle zu vertreiben. »Er kennt inzwischen alle unsere Namen. Und vorhin hat er so getan, als würde er neben einem Robbenloch kauern. Ganz still hat er sich verhalten!«
Während Kallik ihr Junges ausgiebig schnäuzelte, versuchte Toklo missmutig, seine Ohren vor dem Geplapper der Bärinnen zu verschließen. Ich weiß ja, dass es falsch war, mich über das Junge aufzuregen. Aber irgendwie sah er plötzlich genauso aus wie Tobi. Und ich kann einfach nicht aufhören, an ihn zu denken. Bärenjunge sterben zu leicht!
Er starrte hinaus in die Schneewüste und fragte sich, was aus Ujurak geworden war.
Wenn er nicht bald zurückkommt, muss ich losziehen und nach ihm suchen. Würde mich nicht wundern, wenn dieser Dummkopf sich wieder in Schwierigkeiten gebracht hätte.
Da aber nahm Toklo eine Bewegung wahr, einen dunklen Umriss in der schneeweißen Landschaft. Etwas, das mit großer Geschwindigkeit auf ihn zukam. Er ging in Lauerstellung, entspannte sich aber sofort wieder, als die Gestalt näher kam und er Ujurak erkannte, der offensichtlich in großer Eile war.
Toklo sprang auf und lief ihm entgegen. »Was ist passiert?« Er bekam einen Schreck, als er sah, wie aufgelöst der kleinere Bär war.
Ujurak bremste so abrupt, dass der Schnee aufstob. »Mir geht’s gut«, keuchte er. »Aber ich bin mit einem Flachgesicht auf Reisen gegangen – er war außerdem auch ein Rabe –, und ich habe noch mehr Öl gesehen! Es überschwemmt die Insel und alles Leben!«
»Langsam, immer der Reihe nach.« Toklo drückte sich beruhigend an seinen Freund. »Ich verstehe kein Wort von dem, was du da redest. Jetzt fang noch mal von vorn an.«
Ujurak holte mehrmals tief Luft und zu Toklos Erleichterung verschwand der wilde Ausdruck aus seinen Augen allmählich. »Ich bin Tulugaq begegnet, einem Flachgesicht, das sich in einen Raben verwandeln konnte«, begann er zu erzählen. »Er hat mir einen Ort gezeigt, wo die Erde aufgerissen wird, um Öl herauszuholen. Dieses Öl wird die ganze
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