Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)
landete auf einem vom Wind geformten Schneesockel auf halber Höhe des Abhangs. »Da unten«, krächzte er, als Ujurak sich neben ihm niederließ, »befindet sich eine Höhle, in der unsere Ahnen sich getroffen haben.«
Eure Ahnen? Oder auch meine?, fragte sich Ujurak.
»Man nennt sie den Ort der Selamiut«, erklärte Tulugaq.
»Fliegen wir dorthin?«, wollte Ujurak wissen. Er war voller Erwartung.
Der Rabe schüttelte den Kopf. »Es gibt etwas anderes, das ich dir zeigen möchte«, krächzte er.
Tulugaq flog weiter, und Ujurak warf sich in die Luft, um ihm zu folgen. Am Ende des Tals kam ein Flachgesichterbau in Sicht. Er bestand aus dunklen Pfählen, die spitz zulaufend in den Himmel ragten und von braunen Maschinen flankiert wurden.
Tulugaq stieß hinab und ließ sich auf dem Bauwerk nieder. Als Ujurak sich zu ihm gesellte, nahm er einen üblen Geruch wahr. Es roch wie das am Rand der letzten großen Wildnis gelegene Ölfeld oder wie die ölverschmierten Lebewesen, die er mit Sally zu retten versucht hatte.
Öl! Selbst hierher sind die Flachgesichter gekommen, um danach zu suchen!
Er blickte hinab zu den Flachgesichtern, die sich, in glänzend gelbe Pelze gekleidet, durch das Gebiet bewegten. Einige fuhren in Feuerbiestern herum, andere gingen zu Fuß, lange Stangen oder klobige Maschinenteile in den Händen, deren Funktion Ujurak ein Rätsel war.
Während er so nach unten starrte, verschwamm sein Blick. Als er wieder klarer sah, schossen weitere Gebäude aus dem Boden. Es gab noch mehr Flachgesichter und Feuerbiester, die wie Ausschläge einer furchtbaren Krankheit anmuteten und sich immer weiter ausbreiteten, bis die ganze Insel, so weit Ujurak blicken konnte, von ihnen bedeckt war.
Die Geräusche sterbender Tiere, die unter ihm kauerten, drangen an sein Ohr: vor Hunger wimmernde Junge, kraftlos krächzende Vögel, Eisbären, die ihre Wut herausbrüllten, weil es keine Robben mehr gab. Das Leiden verhungernder Geschöpfe erfüllte die ganze Welt und ließ Ujurak erzittern.
Dunkles, klebriges Öl begann aus dem Boden zu quellen, eine schwarze Flut, die sich über den Schnee ergoss, alles Weiße verschluckte, alle sterbenden Geschöpfe. Eine Welle nach der anderen schoss hervor, sie bedeckten das gefrorene Meer und griffen nach und nach auf die anderen Inseln über, bis es von Horizont zu Horizont nichts anderes mehr gab als stinkendes Öl. Ujurak musste würgen, als er die verpestete Luft einatmete.
»Tulugaq, was –«, setzte er an, brach jedoch ab, als er sich zu dem Raben umdrehte und den Glanz auf seinen Federn sah, die über und über mit schwarzem Öl verschmiert waren. Der Vogel konnte nicht atmen, sein Schnabel öffnete und schloss sich stumm.
Tulugaq stirbt!
Ujurak konnte sich nicht erklären, woher das Öl kam, aber er wusste, dass es keine Möglichkeit gab, es aufzuhalten oder gar zu beseitigen. Er konnte hier nichts tun. Sie mussten zu den Iglus zurück.
»Tulugaq, du musst mit mir fliegen!«, drängte er.
Der ältere Rabe wandte den Kopf und richtete einen verzweifelten Blick auf Ujurak, doch dann breitete er die Flügel aus und stieg schlingernd auf. Ujurak hielt sich dicht neben ihm, während er mit wachsender Panik feststellte, dass er keine Ahnung hatte, in welche Richtung sie fliegen mussten.
Tulugaq verlor an Höhe, seine ölverschmierten Flügel schlugen verzweifelt. Ujurak tauchte hinab, um bei ihm zu bleiben. Plötzlich verspürte er einen heftigen Stoß, als sei er auf dem Boden aufgeschlagen, und für einen Moment wurde alles dunkel. Dann öffnete er die Augen und fand sich in Tulugaqs Iglu wieder, in Flachgesichtergestalt, unter Fellen liegend.
Der Ölgestank steckte noch immer in seiner Nase, und Ujurak schnappte nach Luft, als er die Felle abwarf und an Tulugaqs Seite eilte. Er entdeckte kein Öl an ihm, aber der Alte lag keuchend auf dem Rücken, die Brust hob und senkte sich schwer mit jedem rasselnden Atemzug. Er hatte die Augen geschlossen und regte sich nicht, als Ujurak ihn ansprach.
Mit zitternden Händen griff Ujurak zur Wasserflasche und hob den Kopf des Alten an, damit er einen Schluck nehmen konnte.
Tulugaqs Augen öffneten sich und richteten sich fest auf Ujurak, während er die Wasserflasche beiseitestieß. »Die Wildnis stirbt und ich sterbe mit ihr«, flüsterte er. »Die Zeit ist gekommen.«
»Nein!«, rief Ujurak.
Der Alte ignorierte seinen Protest und versuchte kraftlos, sich aufzurichten. »Halte die Flut zurück, um die Insel zu retten«,
Weitere Kostenlose Bücher