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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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Zufuhr von Sauerstoff dazu, dass ich plötzlich wieder klarer denken kann. Und prompt fällt mir dann auch wieder ein, dass es mit Uli und mir ja nichts wird. Aber weil ich fest entschlossen bin, mir von nichts und niemandem mehr die gute Laune verderben zu lassen, schmettere ich los: »Happy days in Aulendorf.« Wie das Lied weitergeht, weiß ich nicht, aber das macht auch nichts, weil ich gerade eben über eine Kehrschaufel mitten auf dem Plattenweg gestolpert bin. Und während ich mich hochrapple, meldet sich meine innere Stimme: Zieh dein Ding durch, regle das mit der Familie und dann ab nach Berlin.
    »Ja! So mach ich das!«, sage ich laut, aber es kommt etwas genuschelt heraus. Kein Wunder: Beziehung beendet (Rudolf), neue alte Beziehung fast angefangen und sofort wieder beendet (Uli), und dann noch diese mysteriösen Fotos und jede Menge wilder Verschwörungstheorien – und vor allem der Schnaps. Da kann man ruhig auch mal etwas daneben sein.
    Ich stütze mich mit der flachen Hand auf der Klingel ab (Frieda muss da sein, ihr Auto steht auf der Straße), lausche dem vertrauten »dingdong dingdong« und stelle, während ich warte, erstaunt fest, dass man die Erddrehung sehr wohl spüren kann.
    »Doro!«
    »Hä?«
    Wolfgang drückt mich, als hätten wir einander seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. »Was ’n los?«, brumme ich. »Denke, ihr seid verreist.« Und bevor ich es schaffe, mich aus der Umarmung meines Bruders zu lösen (ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, dass er je so herzlich war), kommt Renate dazu, mit verheultem Gesicht.
    »Dass du wieder da bisch, Doro. Wo warsch du denn die ganze Zeit? Mir hend uns so große Sorge um di gmacht.«
    »Ich verstehe überhaupt nichts mehr!«, sage ich sehr langsam und sehr deutlich.
    »Komm mit.« Mein Bruder schiebt mich in die Küche. Papa sitzt am Esstisch. Als er mich sieht, steht er auf, kommt mit schnellen Schritten auf mich zu, nimmt mich in die Arme.
    »Ach Dorle, mein Mädle«, sagt er leise. »Wir wollten dir gewiss keinen Kummer machen. Es war doch alles nur Theaterspiel.«
    »Wie bitte?«
    Ehrlich gesagt, ich kapiere nichts. Aber dann macht sich plötzlich eine riesige Erleichterung breit, Papa ist ja gar nicht krank, er hat nur so getan, damit ich mich endlich wieder einmal um ihn kümmere, und ich muss einfach losheulen. Ich klammere mich an Papa, schluchzend, und plötzlich ist es wieder so wie früher; immer wenn ich traurig war, bin ich zu ihm gerannt. Er hat mich getröstet, egal, wie oft ich mir beim Spielen die Knie aufgeschlagen habe, als ich den ersten Liebeskummer hatte, als ... Ich war immer das Papakind.
    Renate steckt mir ein Taschentuch zu. Ganz dunkel erinnere ich mich daran, dass ich erst vor kurzem eine Familienpackung Papiertaschentücher gekauft habe, in weiser Voraussicht vermutlich. Hinter mir räuspert sich jemand.
    Friedas Stimme klingt müde, als sie sagt: »Ich glaube, nun ist es Zeit.«
    Ob Stützles wohl wieder fotografieren, schießt es mir durch den Kopf, als wir am Tisch sitzen. Ich neben Papa, Wolfgang und Renate uns gegenüber. Frieda wandert unruhig zwischen Kühlschrank und Herd hin und her. Es macht mich zwar nervös, aber sie ist in einem solch aufgelösten Zustand, dass ich lieber ruhig bin und stattdessen den Kaffee trinke, den Renate mir fürsorglich eingeschenkt hat.
    »Uns ist einfach alles über den Kopf gewachsen«, sagt Frieda unvermittelt und bleibt stehen. »Dorothea, du musst wissen, wir wollten nur dein Glück, bei allem, was wir dir in den letzten Tagen vorgespielt haben. Es geschah alles nach bestem Wissen und Gewissen und ...«
    »Ich kapier überhaupt nichts mehr!«
    Statt einer Antwort schiebt Wolfgang mir einen schmalen Ordner hin. Oh bitte nicht schon wieder Fotos, denke ich, aber dann sind es nur Zeitungsausschnitte aus der
Schwäbischen
.
    »Schau sie dir genau an«, sagt Papa.
    Ich setze meine Brille auf.
»Laienspielgruppe Zollenreute wieder in Höchstform!«
, lese ich vor und schaue dann irritiert hoch.
    »Weiter.«
    Ich zucke mit den Schultern. »Von mir aus.« Ich räuspere mich ein paar Mal und lese dann mit erhobener Stimme vor: »Die Laienspielgruppe kann auch dieses Jahr wieder einen gewaltigen Erfolg verbuchen. So viele Zuschauer wie noch nie amüsierten sich bei dem Lustspiel
Damals in unserem Städtle
, verfasst von Frieda Weidmann, die in bewährter Manier auch die Regie übernommen hat. Köstlich Karl Schütterle, der mit Herzblut den Altbauern darstellte, ebenso seine

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