Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
eigentlich mein Gepäck nehmen, aussteigen, nicht zurückschauen – aber ich schaffe es nicht. Stattdessen sage ich leise: »Hast du dir mal überlegt, warum du mich verlierst? Da erzählst du mir was von großer Liebe, und dann ruft Moni dich weiß Gott wie oft an. Und das, obwohl du sie angeblich nur flüchtig kennst.«
»Es tut mir leid, ich hab dir nicht alles erzählt.« Uli beißt sich auf die Unterlippe, blickt wieder starr geradeaus. »Aus Angst, es würde dich verletzen. Ich weiß, du hast mit Moni so deine Probleme. Ja, ich war mit ihr zusammen, drei Monate lang. Meine Mutter ist damals nach Köln gezogen, vielleicht erinnerst du dich. In den Ferien habe ich sie besucht, und dann ist ganz plötzlich Moni aufgetaucht. Ich weiß nicht mal, wie sie mich gefunden hat. Sie hat mir gestanden, dass sie schon seit der zehnten Klasse in mich verliebt war, sie hätte alles getan, damit ...«
»Damit es zwischen uns auseinandergeht? Willst du das sagen? Das hat dann ja auch bestens geklappt.«
»Hör mir bitte erst einmal zu. Ich weiß inzwischen, was damals wirklich geschehen ist. Moni hat nur deshalb angerufen, weil sie mir das hier endlich zurückgeben wollte.« Aus der Seitentasche holt er einen dicken Umschlag. Ich halte den Atem an, als er einen Packen Briefe herauszieht – unsere alten Liebesbriefe. »Bine wusste, wie verliebt ihre Schwester in mich war. Und deshalb hat sie irgendwann angefangen, unsere Briefe zu unterschlagen.«
»Bine hat ... Nein, das glaub ich einfach nicht!«
Aber natürlich erkenne ich meine Schrift wieder, die vielen, vielen Herzchen, mit denen ich das Briefpapier verziert habe. Ich war damals ja noch so jung und hatte keine Ahnung von den Menschen und der Welt.
»Bei Bines Beerdigung hat Moni ein paar Andeutungen gemacht. Frieda hat davon erfahren und es mir erzählt. Am Sonntag habe ich mir schließlich ein Herz gefasst und Moni angerufen. Ich habe von ihr verlangt, dass sie mir endlich die Wahrheit sagt. Sie wollte Bedenkzeit, meinte, es würde ihr schwerfallen, darüber zu sprechen. Immerhin gehe es um ihre verstorbene Schwester.« Er lacht bitter auf. »Und dann ruft Moni an, weil sie schließlich doch reden will – und bringt uns wieder auseinander. Es ist, als wäre da ein böser Geist, der uns nicht glücklich werden lässt.«
Ich schließe die Augen. Und sehe an mir vorbeiziehen: mein quirliges Großstadtleben mit Cafés und Partys und Filmfestspielen, die chaotische Yasemin, die exzentrische Mara, meine vielen verschiedenen Jobs, interessant waren sie schon, trotz allem ...
»Ich bringe jetzt dein Gepäck auf den Bahnsteig«, sagt Uli.
Ich öffne die Augen, winke in Gedanken meinem Singledasein noch einmal zu und greife nach Ulis Hand. »Nein, lass das Gepäck, wo es ist«, sage ich und wische mir die Tränen weg. »Lass uns heimfahren. Oder einen Spaziergang durch den Park machen. Ich möchte zu gern wissen, was aus unserem Baum geworden ist.« Glücklich lachend füge ich hinzu: »Ob’s Herz noch da isch.«
»Natürlich ist’s noch da, Dorle«, sagt Uli und küsst mich zärtlich.
Ich fühle, ich bin angekommen. Ich bin endlich wieder daheim.
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