Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
pure Erleichterung, dass es nicht um Pornos ging. Und die letzten zwei gerade eben, weil ich völlig ratlos bin. Ratlos angesichts der Fotos, welche die Stützles mir in der letzten halben Stunde gezeigt haben.
»Seit dem vierten August dokumentiere wir jetzt scho.« Herr Stützle spricht inzwischen gemäßigtes Hochdeutsch, vermutlich hält er es der Situation für angemessen. »Sollte wir zur Polizei gehe oder glei zum Verfassungsschutz? Was meinet Sie?«
Ich betrachte das Foto vom elften August, aufgenommen um achtzehn Uhr zweiundvierzig, gestochen scharf. An diesen Abend erinnere ich mich noch ganz genau, Wolfgang hat mich in Berlin angerufen, dass ich dringend Urlaub nehmen und nach Hause kommen solle, Papa gehe es so schlecht. Aber was ich auf diesem Foto sehe ...
»Soll i a Lupe hole?«
Ich schüttle den Kopf. Ich sehe genug: den runden Esstisch in unserer Küche, eine Vase mit Sonnenblumen, Gläser und Tassen. Und um den Tisch herum Tante Frieda, Wolfgang und Renate (von hinten, aber ich erkenne sie ganz deutlich), Frau Blumer, Papa mit Krawatte, er unterhält sich anscheinend angeregt mit Wolfgang und ... Uli! Kein Zweifel, es ist Uli, der da sitzt, über ein Notebook gebeugt.
»Es isch im höchschta Maß konschpirativ. Ond was mi dann no wundert, worum goht’s Ihrem Vadder etzt plötzlich so schlecht? Vor oiner Woch isch er no im Garte rumgschprunga ond hot gschafft wia an Junger.«
Frau Stützle blättert um und tippt auf ein weiteres »Beweisfoto«, wie sie es nennt. Papa beim Holzmachen am zwölften August um fünfzehn Uhr zweiunddreißig, also genau zwei Tage, bevor Rudolf und ich gekommen sind. Auf dem nächsten Bild sind Tante Frieda und Frau Blumer zu sehen, Tante Frieda reicht ihr etwas Hellblaues ... Könnte das womöglich die Kittelschürze sein? Auf den nächsten Fotos: Papa und Uli mit konzentrierter Miene vor dem Notebook, Tante Frieda scheint Wolfgang, Renate und Frau Blumer etwas zu erklären ...
Erschöpft schiebe ich das Album zur Seite. »Ich verstehe das alles nicht.«
»Schad. Aber mir hend uns halt gsait, dass Sie beschtimmt nix mit der Sach zu dua hend, weil Sie jo bei denne Treffe gar it dabei waret. Aber was isch bei Ihrem Vadder im Haus bloß los seit jetzt ogfähr zwoiahalb Woche? Den do« – Herr Stützle tippt mit dem Zeigefinger auf Uli – »der isch neulich no amol do gwese, mit Ihrem Ma zsamme. Und die Frau do hot ja ganz plötzlich im Haus putzt, gell.«
Ich nicke, als Frau Stützle auf das nächste Foto zeigt: Tante Frieda zusammen mit unserer Haushaltshilfe, ins Gespräch vertieft, am dreizehnten August um zwanzig Uhr dreiundvierzig. Hat Frieda nicht behauptet, dass sie Frau Blumer nur flüchtig von der Seniorengymnastik kenne?
Herr Stützle räuspert sich. »Die Baader-Meinhof-Bande gibt’s jo nimmer, wenn i des so richtig mitverfolgt han – aber was isch mit dene Islamischte? Bei XY saget se emmer, dass mr die Auga aufhalte soll, aber i glaub eigentlich it, dass es hochkriminell isch, da driba. Ihr Vadder isch doch an vernünftiger Mensch und die Tante au. Wenn ma amol von ihrem komische Auto absieht. Ich frag mi bloß, was isch dann los bei Ihne driba?«
»Das werde ich herausfinden!«, sage ich mit schwerer Zunge. »Sie müssen mir aber ein ...« (Verflixt, wie heißt dieses Wort?) Ich lache, um die peinliche Situation irgendwie zu überbrücken, und dann fällt es mir auch wieder ein: »Sie müssen mir ein Beweisfoto überlassen«, sage ich und ziehe mich am Couchtisch hoch. »Danke auch für den Zopf und den Schnaps.« Ich kichere, kriege dann aber doch noch die Kurve zu einem formvollendeten Abgang. »Der Schnaps war ausgezeichnet. Grüßen Sie ihn von mir.«
Was hat Uli nur bei uns in der Küche gemacht?, überlege ich, als ich zu unserem Haus hinübertänzle. Einerseits fühle ich mich herrlich beschwingt, andererseits sind da aber auch die vielen, vielen Rätsel. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Frieda mir doch irgendwann am Telefon erzählt, dass sie ihr Haus umbauen lassen will. Dazu braucht man einen Architekten, klar, warum nicht Uli. Aber warum tagt man dann in unserer Küche? Das ist doch alles völlig absurd.
Immerhin habe ich jetzt ein Foto von ihm. Ich könnte es vergrößern lassen oder seinen Kopf mit der Nagelschere ausschneiden und in einem silbernen Medaillon um den Hals tragen. Irre romantisch, am besten an einem schwarzen Samtband, und in das Medaillon lasse ich
In ewiger Treue
eingravieren.
Leider führt die verstärkte
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