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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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ist nichts Schlimmes. Rudolf geht seit zweieinhalb Stunden spazieren. Er hat sich schwer in Schale geworfen, vermutlich lindert das seine Rückenschmerzen
.
    Frieda
    PS: Wenn du mich fragst: Rudolf ist nicht im Park!
    Nein, Rudolf ist bestimmt nicht im Park, denke ich, als ich nach oben renne. Aber das ist mir auch so was von egal. In null Komma nichts habe ich seine Sachen in die Reisetasche gestopft. Als ich die Treppe hinuntergehe, sehe ich, dass es aus der Tasche tropft (das Rasierwasser ist vermutlich nicht richtig zugedreht), aber das kann ich jetzt auch nicht ändern.
    Konstantinos staunt nicht schlecht, als ich anstelle des Geldes eine Reisetasche anschleppe. Immerhin ist er Kavalier genug, sofort auszusteigen und sie mir abzunehmen.
    »Die Fahrt geht ab sofort ohne mich weiter«, sage ich vergnügt. »Konstantinos, Sie bringen jetzt bitte diese Tasche zu meinem Mann. Ich schreibe Ihnen die Adresse auf, und er wird dann alles bezahlen. Bei wie viel sind wir denn so ungefähr?«
    Sechsundvierzig Euro, erfahre ich, die lange Wartezeit am Bahnhof und jetzt hier ...
    »Kein Thema«, beruhige ich ihn. »Machen Sie sechzig. Mein Mann regelt das mit Ihnen.«
    »Sicher?«
    »Aber sicher doch!«
    Eher unwillig lässt Konstantinos sich von mir ins Taxi schieben. Aber als er die Adresse liest, strahlt er mich an. »Bei Moni Huber ist Ihr Mann? Dann ist es kein Problem. Meine Frau macht bei ihr einen Malkurs. Tolles Weib, die Moni.« Mit beiden Händen zeichnet er eine Art Eieruhr in die Luft, zwinkert mir zu.
    Ich atme erleichtert auf, als er endlich losfährt.
    Die Krise überfällt mich erst, als ich wieder vor der Haustür stehe, die soeben mit einem leisen Plopp ins Schloss gefallen ist. Ich starre auf die massive Holztür mit dem kleinen vergitterten Fensterchen in der Mitte, bis alles vor meinen Augen verschwimmt, und mit einem Mal sehe ich mein Leben, wie es wirklich ist: Ich bin Ende vierzig, habe ein abgebrochenes Studium der Literaturwissenschaft und unzählige Aushilfsjobs hinter mir, mein Arbeitsplatz ist mehr als unsicher, alle meine Beziehungen sind gescheitert, mein Vater wird dement, meine Dreizimmerwohnung in Kreuzberg ist viel zu teuer und fußbodenkalt, außerdem habe ich – neben meinen üblichen Haarproblemen – auch noch einen Haaransatz, den man dringend wieder färben müsste, eine Stirnfalte, die förmlich nach einer netten kleinen Botox-Spritze schreit ...
    Weiter gehe ich mit meiner schonungslosen Analyse lieber nicht, denn aus Erfahrung weiß ich, wohin das führt.
    Ganz dunkel erinnere ich mich, dass ab heute eigentlich alles anders werden sollte. Ich setze mich auf die oberste Treppenstufe, mache es mir sozusagen gemütlich und wende mich nun meinen Aktiva zu: Ich verfüge über einen reichen Schatz an beruflichen Erfahrungen, gut, dass alle Beziehungen vorbei sind, denn sie taugten sowieso nichts, auch gut, dass Papa in seiner beginnenden Demenz das alles nicht mehr mitbekommt, meine Stirnfalte zeigt, dass ich denke, und der graue Haaransatz, wie souverän ich mit dem Älterwerden umgehe.
    Ist doch prima!, finde ich. Im Großen und Ganzen klappt in meinem Leben doch alles bestens. Mein einziges Problem ist diese verdammte Haustür. Und Friedas dumme Angewohnheit, aus Angst vor Einbrechern alle Fenster zu schließen. Und die Tatsache, dass mein Handy sich in meiner Handtasche befindet und die wiederum drinnen im Haus liegt. Und ...
    »Des isch etzt abr scho nett, dass mr uns amol treffet.«
    Erschrocken blicke ich hoch. Frau Stützle, auf ihren obligatorischen Besen gestützt, ein triumphierendes Lächeln im Gesicht, denn sie weiß: Heute entkomme ich ihr nicht.
    »Ja«, murmle ich verdattert.
    Wenn ich jetzt noch ganz schnell seitwärts in den Garten hechten würde ... Zu spät! Herr Stützle hält am Zaun die Stellung und winkt fröhlich zu uns herüber.
    »Ja, worum sitzet Sie etzt au auf dr Trepp?«
    Einen Moment lang bin ich schwer schockiert. Sollte Frau Stützle womöglich gar nicht mitbekommen haben, dass ich mich ausgesperrt habe?
    Aber bevor mein Weltbild ernsthaft ins Wanken gerät, beruhigt sie mich: »Ihr Tante hot beschtimmt an Schlüssel dabei. Isch des etzt eigentlich Ihr Mo gwä? Der, wo immer dabei war?«
    Sie hat sich neben mich auf die Stufen gesetzt, sieht mich erwartungsvoll an. Ich beuge mich zu ihr hinüber: »Pst! Sagen Sie es bitte nicht weiter! Es handelt sich um einen katholischen Mönch. Er ist aus seinem Kloster abgehauen. In seinem früheren Leben war er

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