Seelen der Nacht
Tür.
Matthews Hand kam schwer auf meinem Arm zu liegen. Dass er mich so schnell erreicht hatte, widersprach sämtlichen physikalischen Gesetzen.
»Setz dich, Diana.« Seine Stimme war so fest wie sein Griff, trotzdem war ich seltsam erleichtert, dass er überhaupt Gefühle zeigte.
»Warum gibst du nach?«, flüsterte ich.
»Ich will nicht, dass die Menschen auf uns aufmerksam werden – und dass du getötet wirst.« Er zog mich zum Sofa zurück und drückte mich in die Polster. »Diese Familie ist keine Demokratie und schon gar nicht in Zeiten wie diesen. Wenn ich dir sage, dass du etwas tun sollst, dann tust du es, ohne zu zögern und ohne zu fragen. Verstanden?« Matthews Tonfall ließ erkennen, dass für ihn die Sache damit geklärt war.
»Sonst?«
Er stellte den Wein ab, und in dem Kristallkelch brach sich das Kerzenlicht.
Ich merkte, wie ich fiel, diesmal in tiefes Wasser.
Das Wasser verwandelte sich zu einem Tropfen, einem Tränentropfen, der auf einer weißen Wange glänzte.
Sarahs Wangen waren tränennass, ihre Augen waren rot und verschwollen. Em war in der Küche. Sie kam zu uns, und ich sah, dass sie ebenfalls geweint hatte. Sie war völlig aufgelöst.
»Was ist?« Die Angst schnürte mir den Magen zu. »Was ist passiert?«
Sarah wischte sich über die Augen, mit fleckigen Fingern von den Kräutern und Gewürzen, die sie für ihre Zaubersprüche verarbeitet hatte.
Ihre Finger wurden länger, die Flecken verschwanden.
»Was ist denn?«, fragte Matthew mit wildem Blick und wischte mit weißen Fingern eine winzige, blutige Träne von einer genauso weißen Wange. »Was ist passiert?«
»Hexen. Sie haben deinen Vater«, sagte Ysabeau mit brechender Stimme.
Die Vision löste sich auf, und ich sah Matthew an, weil ich hoffte, dass mich seine Augen genau wie sonst in Bann schlagen und aus meiner Verwirrung erlösen würden. Sobald sich unsere Blicke trafen, kam er zu mir und blieb vor mir stehen. Trotzdem spendete mir seine Nähe diesmal keinen Trost.
»Ich würde dich eher selbst töten als zuzulassen, dass dir jemand wehtut.« Die Worte wollten ihm kaum über die Lippen. »Und ich will dich nicht töten. Also tu bitte, was ich dir auftrage.«
»Das ist alles?«, fragte ich, als ich wieder einen Ton herausbrachte. »Wir beugen uns einer uralten, engstirnigen Übereinkunft, die vor fast tausend Jahren geschlossen wurde. Fall erledigt?«
»Die Kongregation darf dich auf keinen Fall ins Visier nehmen. Du kannst deine Magie nicht kontrollieren und weißt immer noch nicht, in welcher Beziehung du zu Ashmole 782 stehst. In Sept-Tours droht dir vielleicht keine Gefahr von Peter Knox, Diana, aber ich habe dir ja gesagt, dass du nie ganz sicher sein kannst, solange du dich unter Vampiren aufhältst. Das ist kein Warmblüter. Jemals.«
»Du würdest mir nichts tun.« Trotz allem, was in den letzten Tagen passiert war, war ich mir in diesem Punkt ganz sicher.
»Du hängst immer noch deinen romantischen Vorstellungen vom Leben eines Vampirs an, dabei habe ich meinen Blutdurst nie verloren, sosehr ich auch dagegen ankämpfe.«
Ich winkte ab. »Du hast Menschen getötet. Das weiß ich, Matthew. Du bist ein Vampir, und du lebst seit Jahrhunderten. Meinst du, ich würde glauben, dass du immer nur Tiere erlegt hast?«
Ysabeau beobachtete ihren Sohn genau.
»Du weißt, dass ich Menschen getötet habe, sagst du, aber deshalb weißt du noch lange nicht, was das wirklich bedeutet, Diana. Du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin.« Er berührte seinen Talisman und ging mit ein paar schnellen, ungeduldigen Schritten auf Abstand.
»Ich kenne dich.« Auch daran hatte ich keinen Zweifel. Ich fragte mich, wieso ich mir bei Matthew instinktiv so sicher war, wenn gleichzeitig immer deutlicher wurde, wie brutal Vampire – und auch Hexen – sein konnten.
»Du kennst nicht einmal dich selbst. Und bis vor drei Wochen hattest du noch nie von mir gehört.« Matthews Blick zuckte rastlos umher, und seine Hände zitterten genauso stark wie meine. Trotzdem beunruhigte mich das weniger als die Tatsache, dass sich Ysabeau in ihrem Sessel aufgesetzt hatte. Er griff nach einem Schürhaken, stieß damit zornig ins Feuer und warf ihn dann beiseite. Scheppernd schlug das Metall gegen den Stein und kerbte sich in die harte Oberfläche wie in Butter.
»Wir werden das alles klären. Gib uns noch etwas Zeit.« Ich bemühte mich, möglichst sanft und beschwichtigend zu sprechen.
»Da gibt es nichts zu klären.«
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