Seelen der Nacht
sicher.«
Das war eigenartig, angesichts des ausgeprägten Geruchssinnes der Vampire. »Waren es Menschen?«
»Nein.« Offenbar waren wir zu den einsilbigen Antworten zurückgekehrt.
»Ich hole meine Sachen.« Ich machte mich auf den Weg zur Treppe.
»Du kommst nicht mit. Du bleibst hier.« Matthews Worte bremsten mich abrupt.
»Ich wäre lieber in Oxford«, protestierte ich. »Mit dir zusammen.«
»Oxford ist im Moment nicht sicher. Ich komme so schnell wie möglich zurück.«
»Gerade eben hast du mir noch erklärt, dass wir dorthin zurückkehren sollten! Entscheide dich endlich, Matthew. Von wem droht mir Gefahr? Von den Hexen und dem Manuskript? Peter Knox und der Kongregation? Oder von Domenico Michele und den Vampiren?«
»Hast du nicht zugehört? Ich bin die Gefahr.« Matthews Stimme schnitt scharf durch die Luft.
»O ja, ich habe dir zugehört. Aber du hältst etwas vor mir geheim. Und ich als Historikerin bin sehr gut darin, Geheimnisse aufzudecken.« Er wollte etwas sagen, aber ich kam ihm zuvor. »Keine Ausflüchte mehr und keine vorgeschobenen Erklärungen. Flieg nach Oxford. Ich bleibe hier.«
»Brauchst du noch etwas von oben?«, fragte Ysabeau. »Du solltest dir einen Mantel überziehen. Wenn du nur einen Pullover trägst, fällst du auf.«
»Nur meinen Computer. Der Pass liegt in der Tasche.«
»Ich gehe ihn holen.« Ich stürmte die Treppe hinauf, denn ich brauchte eine Verschnaufpause. In Matthews Arbeitszimmer ließ ich die Augen durch den Raum wandern, der so viel über ihn verriet.
Die im Feuerschein blinkende silberne Rüstung fesselte meinen Blick, und eine Reihe von Gesichtern zog durch meinen Kopf, blitzartige Visionen, die gleich wieder verglühten wie Sternschnuppen. Ich sah eine bleiche Frau mit riesigen blauen Augen und einem süßen Lächeln, dann eine weitere Frau, deren festes Kinn und durchgestreckte Schultern Entschlossenheit verrieten, einen Mann mit Hakennase, der schreckliche Schmerzen erdulden musste. Ich sah noch mehr Gesichter, aber nur eines war mir bekannt – das von Louisa de Clermont, die sich ihre bluttriefenden Finger vors Gesicht hielt.
Ich widerstand dem Sog der Vision, bis die Gesichter verblassten, aber das war so anstrengend, dass ich am ganzen Leib zu zittern begann und mich wie benebelt fühlte. Aus der DNA-Analyse wusste ich, dass ich die Anlage zum zweiten Gesicht besaß. Aber ich war auf die Erfahrung genauso wenig vorbereitet wie gestern auf die Erkenntnis, dass ich in Matthews Armen schwebte. Es war, als hätte jemand den Stöpsel von einer Flasche gezogen, und jetzt würden sich meine magischen Fähigkeiten ungehindert aus mir ergießen.
Als ich endlich in der Lage war, den Stecker aus der Dose zu ziehen, packte ich ihn zusammen mit dem Computer in Matthews Tasche. Sein Pass steckte vorn im Fach, genau wie er gesagt hatte.
Als ich in den Salon zurückkam, war nur noch Matthew da, die Schlüssel in der Hand und ein Wildledersakko über den Schultern. Marthe hastete brummelnd in der großen Halle umher.
Ich übergab ihm den Computer und trat sofort einen Schritt zurück, weil ich sonst der Versuchung, ihn zu berühren, nicht würde widerstehen können. Matthew steckte die Schlüssel ein und nahm die Tasche an sich.
»Ich weiß, das ist schwer für dich.« Er klang gedämpft und unnahbar. »Aber du musst mich das regeln lassen. Und ich muss wissen, dass dir währenddessen nichts passieren kann.«
»In deiner Nähe kann mir nichts passieren, ganz gleich, wo wir sind.«
Er schüttelte den Kopf. »Mein Name hätte genügen müssen, um dich zu beschützen. Das hat er nicht.«
»Mich zurückzulassen ist keine Lösung. Ich verstehe nicht alles, was heute passiert ist, aber Domenicos Hass trifft nicht nur mich. Er will deine Familie zerstören und alles, was dir je wichtig war. Vielleicht kommt Domenico tatsächlich zu dem Schluss, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für seine Vendetta ist. Aber Peter Knox? Er will Ashmole 782 und ist überzeugt, dass ich es ihm beschaffen kann. Ihn wirst du nicht so leicht kaltstellen können.« Mich schauderte.
»Ich werde ihm einen Handel anbieten, den er nicht abschlagen kann.«
»Einen Handel? Was willst du ihm denn anbieten?«
Der Vampir blieb stumm.
»Matthew?«, hakte ich nach.
»Das Manuskript«, erklärte er knapp. »Ich werde ihm versprechen, dass ich die Finger davon – und von dir – lassen werde, wenn er das Gleiche verspricht. Ashmole 782 lag anderthalb Jahrhunderte
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