Seelen der Nacht
Schritt auf den Tisch zumachte, roch er Elektrizität und erstarrte.
Aus Diana Bishops Körper sickerte Licht – überall, so als würde es ihren Poren entströmen. Es leuchtete in einem so hellen Blau, dass es fast weiß wirkte, und bildete anfangs einen wolkigen Schleier, der sekundenlang an ihr zu haften schien. Einen Augenblick schien sie selbst zu schimmern. Matthew schüttelte ungläubig den Kopf. Das war unmöglich. Es war Jahrhunderte her, seit er das letzte Mal ein solches Licht von einer Hexe hatte ausströmen sehen.
Aber andere, dringendere Angelegenheiten warteten, darum nahm Matthew die Jagd nach dem Manuskript wieder auf und durchsuchte hastig die Schriften auf ihrem Schreibtisch. Frustriert fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. Der Duft der Hexe überlagerte alles und lenkte ihn ab. Matthews Blick richtete sich wieder auf die Couch. Bishop bewegte sich wieder im Schlaf und zog dabei die Knie an die Brust. Noch einmal stieg ein pulsierendes Leuchten aus ihrem Körper, schimmerte kurz über ihr und erlosch.
Matthew runzelte die Stirn, denn was er gestern Abend zufällig gehört hatte, passte so gar nicht zu dem, was er hier sah. Zwei Hexen hatten über Ashmole 782 und über die Hexe, die es ausgeliehen hatte, geredet. Eine hatte angedeutet, dass die amerikanische Hexe sich weigerte, ihre magischen Kräfte einzusetzen. Aber Matthew hatte ihre Kräfte in der Bibliothek gespürt – und sah jetzt, wie sie mit unübersehbarer Intensität in ihr arbeiteten. Vermutlich setzte sie auch bei
ihren Forschungsarbeiten Magie ein. Viele der Männer, über die sie schrieb, waren mit ihm befreundet gewesen – Cornelius Drebbel, Andreas Libavius, Isaac Newton. Sie hatte bei allen sämtliche Schrullen und Eigenheiten perfekt erfasst. Wie hätte eine Frau von heute ohne magische Hilfe Männer verstehen können, die vor so langer Zeit gelebt hatten? Matthew fragte sich, ob Bishop ihn mit dem gleichen unheimlichen Feingefühl durchschauen würde.
Die Uhren schlugen drei und schreckten ihn auf. Seine Kehle war trocken wie Pergament. Er begriff, dass er stundenlang reglos zugesehen haben musste, wie die Hexe geträumt hatte und ihre Macht in langsamen Wogen angestiegen und wieder abgeflaut war. Kurz spielte er mit dem Gedanken, seinen Durst mit dem Blut der Hexe zu stillen. Ein Schluck würde ihm vielleicht verraten, wo das verschollene Manuskript steckte und welche Geheimnisse es barg. Aber er hielt sich zurück. Er hatte die rätselhafte Diana Bishop nur aufgesucht, weil er Ashmole 782 finden wollte.
Wenn das Manuskript nicht in der Wohnung der Hexe war, musste es noch in der Bibliothek sein.
Er schlich in die Küche, glitt aus dem Fenster und wurde wieder eins mit der Nacht.
4
V ier Stunden später erwachte ich auf meiner Bettdecke, das Telefon fest in der Hand haltend. Im Schlaf hatte ich meinen rechten Pantoffel abgestreift, und jetzt hing der nackte Fuß über den Bettrand. Ich sah auf die Uhr und stöhnte auf. Ich hatte keine Zeit mehr für meinen morgendlichen Ausflug zum Fluss, nicht mal mehr für eine Joggingrunde.
Also kürzte ich mein Morgenritual ab, duschte nur kurz und trank eine Tasse brühend heißen Tee, während ich mir die Haare föhnte. Auch nachdem ich sie mit der Bürste traktiert hatte, standen sie strohblond in alle Richtungen ab. Wie die meisten Hexen hatte ich Schwierigkeiten, meine schulterlangen Strähnen zu zähmen. Sarah schob das auf meine aufgestaute Magie.
Nach dem Zähneputzen schlüpfte ich in eine Jeans, eine frische weiße Bluse und ein schwarzes Jackett. Es war ein vertrautes Ritual, und es war mein gewohntes Outfit, aber beides wirkte heute nicht beruhigend auf mich. Meine Kleider schienen mich zu beengen, und ich fühlte mich unsicher darin. Ich zupfte am Jackett herum, um festzustellen, ob es dann besser saß, aber es war zu einfach geschnitten, als dass man viel davon erwarten durfte.
Als ich in den Spiegel blickte, starrte mich das Gesicht meiner Mutter an. Ich konnte nicht mehr sagen, wann ich ihr so ähnlich geworden war. Irgendwann während der Collegezeit vielleicht? Das erste Mal war es den Leuten aufgefallen, als ich im ersten Studienjahr zu Thanksgiving nach Hause gekommen war. Seither bekam ich es ständig von allen zu hören, die Rebecca Bishop gekannt hatten.
Der heutige Blick in den Spiegel verriet mir auch, dass meiner Haut der Schlafmangel anzusehen war. Gegen die blasse Haut stachen die
Sommersprossen, die ich von meinem Vater geerbt
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