Seelen
einen Weg. Er schob die Leute mit seiner Waffe zur Seite, als wären sie Schafe und das Gewehr ein Hirtenstab.
»Das reicht«, knurrte er diejenigen an, die sich beschwerten. »Ihr werdet später noch Gelegenheit haben, ihn zur Schnecke zu machen. Wir alle. Aber jetzt lasst uns das hier erst regeln, okay? Lasst mich durch.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Sharon und Maggie sich an den Rand der Menge zurückzogen und sich von der wieder aufkeimenden Vernunft distanzierten. Oder wohl eher von meiner Beteiligung. Sie pressten die Kiefer aufeinander und starrten Kyle weiterhin an.
Jared und Ian waren die letzten beiden, zwischen denen Jeb sich hindurchschob. Ich strich beiden im Vorbeigehen über die Arme in der Hoffnung, sie so beruhigen zu können.
»Also gut, Kyle«, sagte Jeb und klatschte mit dem Lauf des Gewehrs in seine Handfläche. »Versuch nicht, dich zu entschuldigen, denn hierfür gibt es keine Entschuldigung. Ich bin schwer hin- und hergerissen, ob ich dich rausschmeißen oder hier und jetzt abknallen soll.«
Das kleine Gesicht, das bleich war unter seiner Bräune, lugte hinter Kyles Ellbogen hervor und lange schwarze Locken kamen zum Vorschein. Der Mund des Mädchens war voller Entsetzen aufgerissen, ihre dunklen Augen außer sich vor Angst. Ich glaubte ein leichtes Glitzern in diesen Augen zu erkennen, einen Hauch von Silber hinter dem Schwarz.
»Aber jetzt beruhigt euch alle erst mal.« Jeb drehte sich um, das Gewehr locker vor sich, und plötzlich sah es so aus, als würde er Kyle und das kleine Gesicht hinter ihm bewachen. Er sah die aufgebrachte Menge an. »Kyle hat einen Gast und ihr erschreckt ihn zu Tode, Leute. Ich finde, ihr könntet alle ein paar bessere Manieren an den Tag legen. Lasst sie in Ruhe und macht irgendwas Nützliches. Meine Melonen vertrocknen. Unternehmt mal was dagegen, klar?«
Er wartete, bis sich die murmelnde Menge langsam zerstreute. Jetzt, wo ich ihre Gesichter sehen konnte, stellte ich fest, dass sie sich sowieso schon beinahe beruhigt hatten. Schließlich war das hier nicht so schlimm verglichen damit, was sie während der letzten paar Tage befürchtet hatten. Ja, Kyle war ein selbstsüchtiger Idiot, schienen ihre Mienen auszudrücken, aber immerhin war er zurück, ohne dass irgendwas passiert wäre. Keine Evakuation, keine Gefahr durch die Sucher. Zumindest nicht mehr als sonst auch. Er hatte einen weiteren Wurm mitgebracht, aber Schwamm drüber, waren die Höhlen dieser Tage nicht sowieso schon voll davon?
Es war einfach nicht mehr so schockierend wie früher.
Viele kehrten zu ihrem unterbrochenen Mittagessen zurück, andere gingen zum Bewässerungsfass, wieder andere in ihre Zimmer. Bald standen außer mir nur noch Jared, Ian und Jamie da. Jeb sah die drei böse an; er machte den Mund auf, aber bevor er sie wegschicken konnte, nahm Ian meine Hand und dann Jamie meine andere. Ich spürte eine weitere Hand auf meinem Handgelenk, direkt über Jamies. Jared.
Jeb verdrehte die Augen darüber, wie sie sich an mir festhielten, um zu verhindern, hinausgeschmissen zu werden, und kehrte uns dann den Rücken zu.
»Danke, Jeb«, sagte Kyle.
»Halt’s Maul, Kyle. Halt einfach dein verdammtes Maul. Ich meine das mit dem Erschießen bitterernst, du nutzlose Mistmade.«
Hinter Kyle war ein schwaches Wimmern zu hören.
»Okay, Jeb. Aber könntest du dir deine Todesdrohungen aufsparen, bis wir allein sind? Sie ist so schon verängstigt genug. Du weißt doch noch, wie sehr dieser Kram Wanda immer aufgeregt hat.« Kyle lächelte mich an - ich merkte, wie mir daraufhin ein erschrockener Ausdruck übers Gesicht huschte - und wandte sich dann mit der liebevollsten Miene, die ich je bei ihm gesehen hatte, an das Mädchen, das sich hinter ihm versteckte. »Siehst du, Sunny? Das ist Wanda, von der ich dir erzählt habe. Sie hilft uns - sie wird nicht zulassen, dass dir irgendjemand etwas tut, genau wie ich.«
Das Mädchen - oder war sie eine Frau? Sie war sehr klein, aber ihre leichten Rundungen ließen an eine reifere Frau denken - starrte mich an, ihre Augen vor Angst riesengroß. Kyle legte den Arm um sie und sie ließ sich von ihm an seine Seite ziehen. Dort klammerte sie sich fest, als wäre er ihr Anker, ihr Fels in der Brandung.
»Kyle hat Recht.« Ich hätte nie gedacht, dass ich das irgendwann mal sagen würde. »Ich werde nicht zulassen, dass dir jemand etwas tut. Du heißt Sunny?«, fragte ich sanft.
Die Frau blickte zu Kyle auf.
»Schon gut. Du musst vor Wanda
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