Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
empfand ihn wie einen nahestehenden Menschen.
    Â»Ich kann Mannweiber nicht ertragen«, fuhr Evtimov lau fort. »Emanzipierte Frauen finde ich so abstoßend wie weibische Männer. Die Freiheit, für die sie kämpfen, nimmt ihnen jeden natürlichen Charme. Eine Frau, die ihre angeborene Schwäche nicht zeigen kann, ist doch ein Ungeheuer.«
    Â»Und? Bin ich auch so ein Mannweib?«
    Â»Du bist wenigstens kein Ungeheuer«, antwortete er ohne zu zögern, »weil du dich ängstigst!«
    Sie bat ihn nicht um eine nähere Erläuterung. Evtimov reproduzierte da wohl einen Endlos-Dialog mit seiner Frau, jener Othella, die alles getan hatte, um ihn durch Verpflichtungen an sich zu ketten, angefangen von der »partnerschaftlichen Haushaltsführung« bis zur Erziehung der Kinder. Ihre Eifersucht war nur der Pfeffer auf diesem Familieneintopf. Ohne ihre andauernde Eifersucht bestünde ja die Möglichkeit, dass er sich von seinen Schuldgefühlen befreite, ihr drei Kinder gemacht zu haben. Hastig räumte er die Aufsteller mit den Fotos seiner Sprösslinge vom Schreibtisch, so als könnten die sie beobachten, lachend dem Fall ihres Vaters zuschauen.
    Dessislava tat er leid. Zwei Stunden saßen sie einander schon gegenüber. Draußen fiel weiter dieser unangenehme Regen, im Rechteck des Fensters dunkelte es, doch er wagte immer noch nicht, sich zu rühren, geschweige denn, sie zu berühren. Er hielt Dessislava für eine, die in Liebesdingen nicht zimperlich war. Sie wiederum fragte sich, als er gerade seinen Wodka mit Zitronensaft verdünnte, wie sie ihm helfen sollte, denn sie hatte – hol’s der Teufel! – doch keinerlei Erfahrung. Wenn sie jetzt anfinge, mit entsprechendem Intimsprech den Boden für ihn zu bereiten, würde sie ihn doch nur erschrecken oder gar beleidigen. Worin bestand dann aber der Sinn, ihn mit ihrer langweiligen, in die Jahre gekommenen Jungfräulichkeit zu unterhalten?
    Manche Mädchen haben eine schwere Pubertät, ich halt eine schwere Jungfräulichkeit, dachte sie. Was war es denn sonst, wenn eine Frau bald Mitte zwanzig war? Eine Art Keuschheitsgelübde, das sich von selbst eingestellt hatte? Charakterliche Beständigkeit? Hoffnungslose Frigidität? Oder schlicht bodenlose Dummheit? Und war nicht gerade diese ins Extrem getriebene Keuschheit so etwas wie Lasterhaftigkeit in Vollendung? Entweder war sie also, ohne es zu wissen, eine ganz Schlimme, oder sie war eine große Lügnerin … All diese Ekelpakete, die sie des Vergnügens beraubt hatte, mit ihr in die Kiste zu steigen, hatten sie frustriert als Nutte beschimpft – und vielleicht war da ja etwas Wahres dran? Frauen, die wirklich Prostituierte waren, bezeichneten die Männer jedenfalls nie mit diesem ungehörigen Wort.
    Wie beschämend, unberührt zu sein, aber nicht zu wissen, ob sie das überhaupt sein wollte. Diese beklemmende Jungfräulichkeit, die ihr auf der Seele lag wie ein Verbrechen, machte sie blind, so als läge sie nicht zwischen ihren Beinen, sondern auf ihren Augen. Mit ihr glich Dessislava der Göttin Justitia, und da fragte man sich doch: Wer gab ihr das Recht, Urteile zu sprechen, sich als Gerechtigkeit selbst aufzuspielen, das Maß für anderer Leute Sittlichkeit oder Unsittlichkeit? Ihre aussichtslose, lachhafte Jungfräulichkeit war eigentlich höchst zerbrechlich, sah aber aus wie eine schwere, verriegelte Tür. Wenn sie sich aber diese hässlichen männlichen »Rammböcke« vorstellte, mit der die Vertreter des starken Geschlechts unter Aufbietung aller möglichen und unmöglichen Tricks, Schleimereien, Lügen und Ungehobeltheiten, sogar Liebesqualen dagegen anrannten, wurde ihr ganz anders.
    Sie war drauf und dran, in Tränen auszubrechen und alles zu vermasseln, denn immerhin beschäftigte sich auch Evtimov mit Theater und würde sofort die Wahrheit erkennen. Ihre Stärke aber lag im Lügen.
    Da stand sie auf und begann einfach, sich auszuziehen. Sie versuchte, dem den Anschein einer alten Übung zu geben, und tat es langsam und lasziv. Vom Stoff befreit, blinkte ihr Körper auf wie eine billige Blechmünze. Sie drehte ihm den Rücken zu, denn sonst wäre sie umgefallen vor Scham. Da spürte sie auf einmal seine Hände auf sich, warm und angenehm grob. Evtimov war kein weibischer Mann, seine Lippen glitten entschlossen wie fallendes Wasser über ihren

Weitere Kostenlose Bücher