Seelenasche
Kellner kannte seine Pappenheimer und bekundete Zweifel an den finanziellen Möglichkeiten der Viererbande und zerstörte ihr Behagen am Sattsein derart, dass die wenig geschätzten Gäste beim Gehen sogar den Brautstrauà aus weiÃen Schwertlilien in der Vase vergaÃen. Im Taxi, als sie das Fehlen dieses romantischen Symbols weiblicher Unbeflecktheit feststellte, fühlte Dessislava sich endlich richtig frei.
In Bobbys Mansarde war es so klamm und kalt, dass sie das elektrische Ãfchen einschalteten. Sie tranken billigen Wodka und tanzten im Abendrot, von dem schwer zu sagen war, ob es nun festlich oder verschämt war. Veilchenfarben, blauschwarz verdichtete sich der Himmel hinter dem Witoscha, bis der Gebirgskamm nicht mehr zu erkennen war. Blieben die Autoschlangen, die sich an dessen Fuà wie eine endlose Kette von Glühwürmchen voranschoben. Simeon lächelte gequält, schwermütig. Das weckte anfangs Dessislavas Besorgnis, schlieÃlich verdarb es ihr regelrecht die Laune. Sie saÃen vor einem noch nicht getrockneten Gemälde Bobbys, das mit seiner düsteren Abartigkeit einschläfernd auf sie wirkte. Maja und der Maler knutschten leidenschaftlich in der Ecke. Sie verbargen sich nicht, hatten ja auch keinen Grund, sich zu schämen; sie waren frei wie die Nacht da drauÃen. Bei den Frischvermählten lagen die Dinge umgekehrt: Dessislava wäre sich jetzt, so als Ehefrau, unanständig vorgekommen, wenn sie mit Simeon vor den beiden Freunden in den Clinch gegangen wäre. Das war ja schon mal ein guter Anfang! Verheiratet sein hieÃ, sich andauernd zu schämen â irgendwie gefiel ihr das!
»Du schweigst die ganze Zeit.«
Simeon schaute sie mit solcher Vergötterung an, dass sie richtig befangen wurde davon.
»Bin einfach müde. Um sechs Uhr früh aufgestanden zum Kleidbügeln. Na, sag schon, hab ich nicht schön gebügelt ausgesehen?«
»Und ich hab die ganze Nacht kein Auge zugemacht, weil ich dachte, du bist eine Braut, die sich nicht traut, sondern nur Theater macht.«
»Klar machen wir Theater. Ein paar Leute sind so naiv zu behaupten, aus mir würde mal eine Regisseurin, und aus dir ein berühmter Schauspieler. Was sollen wir also anderes machen ⦠als Theater, meine ich?«
»Deine heutige Vorstellung hat mir jedenfalls gefallen. Wenn Sotirov die mitgekriegt hätte, hätte er dir ein Sehr gut gegeben.«
Er fasste ihre Hand, sanft, aber fest. Ja, dieser Hamlet, der war auch nicht gerade ein Weichei. Da, da hatten wir es, was sie beunruhigte: seine überhastete Ungeduld. Simeon war zwar schwer verliebt und daher weich gestimmt, aber das änderte nichts an dem ihr so wohlbekannten Komplex der traditionell aufgewachsenen Leute vom Land, die glaubten, dass ein Mann seine Gefühle nur brachial unter Beweis stellen konnte. »Aggressivität«, hatte er ihr erklärt, »ist ein Zeichen dafür, dass der Mann sich für die Frau entschieden hat.«
»Hör zu, du musst mir schwören, dass du niemandem was sagst! Diese sagenhaft verrückte Ehe soll nur uns gehören.«
»Ich weià zwar nicht, worauf du hinauswillst, Dess, aber ⦠gut, ich schwöre!«
»Auf unsere zukünftigen Kinder?«
»Auf dich!«
»Ach, wie wundervoll du bist. Sieh mal, mir kommen die Tränen!«
Sie entzog ihm ihre Hand, als sei die seine ein Handschuh, stahl sich in den Flur und blieb lange dort in der Dunkelheit und ihrer Unentschlossenheit. Sie ertastete den Telefonapparat und wählte die bekannte Nummer. Das Freizeichen machte sie wahnsinnig. SchlieÃlich hörte sie seine Stimme und schrak zusammen. Das Tonband im Atelier war zwar auf volle Lautstärke gedreht, trotzdem flüsterte Dessislava in die Muschel:
»Ich habe es getan!«
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung war scharf, dramatisch, und es schien nicht enden zu wollen. SchlieÃlich erwiderte Evtimov:
»Auf dass du glücklich wirst!«
»Ich konnte es nicht nicht tun. Das, was zwischen uns steht, ist unüberwindlich, unmoralisch, Genosse Evtimov. Und dabei meine ich nicht das gestern. Seit einem halben Jahr bin ich nicht ganz bei mir. Du hast Frau und Kinder, deine Kinder brauchen dich und euer Zuhause. Ich will keine sein, die Familien kaputtmacht.«
»Ich hör dich ganz schlecht, Dess.«
»Ich bin kein Mannweib, sondern ein schwaches und willenloses Mädchen.«
»Ich
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