Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
Leib. Dann umfing er sie mit seiner Erfahrenheit und hob sie aufs Sofa, das weich nachgab. Sie drehte das Gesicht zur Seite. Ein blinder Schmerz … Sie erwartete, dass sich jetzt etwas in ihr umkehrte, dachte, sie müsse doch jetzt eine andere werden, erwachsen und befreit – aber ihr war einfach nur unwohl. Ihre Tränen rannen, bis die Gipsborde und Wandnischen verschwammen, als flössen sie in ihre Augen hinein.
    Evtimov entlud sich bebend in ihren Körper, bitter und unerlöst. Langsam kehrte er zurück in seine männliche Wehrlosigkeit und starrte sie mit wachsendem Entsetzen an. Auf dem Leinenweiß des Sofabezugs prangte grellrot der Abdruck ihrer Jungfräulichkeit. Evtimov fühlte sich jetzt wohl wie ein Schlachter. Sie umfasste seinen Kopf und drückte ihn an ihre Brust, war sie doch nun Frau geworden, berufen, alle menschliche Widersprüchlichkeit zu ertragen und – noch schrecklicher – zu vergeben.
    Â»Aber … warum?«, flüsterte Evtimov ihr voller Erschrecken ins Ohr. »Wie konntest du mich nur so täuschen?«
    Â»Ihr habt euch doch selbst getäuscht – alle!«
    Â»Ich muss etwas tun. Ich denke, auch du …«
    Â»Zu spät«, erwiderte sie, »denn ich heirate wirklich.«
    Â»Ja, wen denn?«, fragte Evtimov verdattert und erhob sich.
    Â»Ich hatte versprochen, bei Hamlet zu bleiben.«
    Und da, in diesem Moment wachsender Hoffnung, geschah das Furchtbare: Evtimov glaubte ihr, plötzlich und gemein. Wenn er ihr aber nach allem, was zwischen ihnen geschehen war, plötzlich glaubte, dann musste auch sie sich glauben. Vor vielen Jahren hatte ihr Jonka, über die auf dem Tisch ausgebreiteten Karten gebeugt, zu bedenken gegeben: »Wenn ein Mensch die anderen belügt, Kindchen, betrügt er im Grunde sich selbst!« Indem sie das Schicksal vergewaltigte, gelang es Dessislava nicht, ihre Liebe zu bewahren; an diesem regnerischen Abend verlor sie einfach nur ihre niemandem nützende Jungfräulichkeit, ein zwar schmerzendes, aber eben noch rechtzeitiges Unterfangen, das ihr das bevorstehende Eheleben erleichtern würde.
    Â»Aber … ich liebe dich doch«, sagte Evtimov so verwundert, als könne er es selbst nicht fassen, »verstehst du: Ich liebe dich!«
6
    Ihre Hochzeit war tatsächlich höchst spartanisch und ohne jeden Aufwand. Man hatte den Eindruck, die ganze Trauungszeremonie wäre nur eine beliebige Antwort von Leuten, die den Tag zusammen verbringen wollten, auf die Frage: Was machen wir denn heute so? Als die Standesbeamtin sah, dass die ganze Hochzeitsgesellschaft nur aus dem Brautpaar und den beiden Trauzeugen bestand, haspelte sie die Zeremonie in fünf Minuten herunter. Füllig, mit dem geübten Lächeln eines alten Pastors, roten Wangen mit blauen Äderchen und in einem festlich bestickten Kleid, lehnte die Dame vom Gemeinderat es sogar ab, ein Glas Sekt mit den Brautleuten zu leeren. Sie reichte ihnen die Ringe mit dem sauren Lächeln des beleidigten, ja, um sein Recht betrogenen Menschen, der gerade erkannte, dass man ihm wohl einen Streich spielte. Der kleine Bläserchor vom Konservatorium fand die Sache hingegen eher komisch und intonierte den Hochzeitsmarsch von Mendelssohn-Bartholdy übertrieben neckisch. Der Hochzeitsfotograf ließ das kalte Blitzlicht aufscheinen und hielt die schuldbewussten Physiognomien zweier junger Leute fest, die auf frischer Tat bei ihrer nächsten kleinen Dieberei ertappt worden waren.
    Glückwünsche bekamen sie keine. Wie auch, es wusste ja keiner von ihrer Hochzeit. Dies war Dessislavas ausdrückliche Bedingung gewesen. »Die Liebe«, hatte sie Simeon gesagt, »macht nur dann Sinn, wenn sie schwierig und geheim ist. Wir müssen ziemlich schlau sein, um unsere Ehe zu retten. Und wenn ich dann mit dem Studium fertig bin und du als Darsteller in irgendeiner blöden Krimi-Fernsehserie ein beliebter Volksschauspieler geworden bist, dann werden wir auch Kinder in die Welt setzen.«
    Maja zitterte vor Kälte in ihrem seidenen Plisseekleid, unter Bobbys Adamsapfel prangte eine rot gepunktete Fliege – buchstäblich der einzige exzentrische Farbtupfer der ganzen Feier. Nach vollzogener Trauung gingen sie ins Ungarische Restaurant und futterten sich satt mit jenem schweigenden Ernst, den nur wahrhaft hungrige Leute beim Essen an den Tag legen. Für das Glück braucht man viel Energie, dachte Dessislava. Der

Weitere Kostenlose Bücher