Seelenasche
kann dich kaum hören. Erklär mir trotzdem: warum?«
Warum immer diese Frage, dachte sie.
»Ich hab geheiratet, weil ⦠Ja, verstehst du denn nicht? Ich kann mich nur von dir lösen, wenn ich jemandem anderen treu sein muss. Und du kannst dich drauf verlassen, dass ich eine erztreue Ehefrau sein werde und dich nie wieder ansehe!«
»Hallo? Hallo â¦Â«
Der ganze Körper tat ihr weh, genauer gesagt, alles, was er berührt hatte. Sie knallte den Hörer auf die Gabel, wischte sich die Tränen ab, während aus dem Wohnzimmer eine aufgekratzte Hookline der Rolling Stones dröhnte. Zur Sicherheit ging sie auf die Toilette und betätigte die Wasserspülung. Dann erst kehrte sie zurück in die nun bereits gewärmte Dunkelheit des Wohnraums, tastete sich zwischen den beiden Staffeleien hindurch, beugte sich nieder und küsste Simeon auf die Stirn.
»Ich gehe«, sagte sie schlicht. »Nein, du brauchst mich nicht hinauszubegleiten.«
»Aber zum Teufel, warte mal, so nicht, Dess, wir sind doch jetzt schlieÃlich Mann und Frau? Ich sag Bobby sofort, er soll sich mit Maja mal für eine Weile verziehen. Haben mir beide versprochen, sie würden sich für die Nacht zu Maja verkrümeln.«
»Zu spät, Hamlet ⦠Meine Mutter wartet zu Hause schon auf mich.«
»Aber Dess, hör doch auf mit diesen Zickereien!«
Er hatte sie an den Schultern gepackt, seine Finger bohrten sich schmerzhaft in ihr Fleisch.
»Nein, hör du zu, Freundchen«, entwand sich Dessislava ihm, »du hast mir pausenlos eingeredet, dir sei es nicht wichtig, mit mir zu schlafen. Dein heimlicher und groÃer Traum war es, dass wir heiraten. Ich hab es dir versprochen und â mein Versprechen gehalten. Oder haben wir heute etwa nicht geheiratet? Gute Nacht!«
7
Alles hatte wohl schon begonnen, bevor die ungestüme, aber fatale Liebe zu seiner Tante Emilia aufflammte und seine Jugend mit ihren neurasthenischen Spannungen zerriss in Aussichtslosigkeit und Schwärmerei â eine Liebe, so platonisch und rein, dass sie ihn unweigerlich auf den Weg niedriger Gedanken und abartiger Gefühle führen musste.
Dieses andere da geschah nicht so urplötzlich, überkam ihn nicht so aus heiterem Himmel wie diese verbotene Liebe, sondern grub sich sukzessive ein wie der berühmte chinesische Tropfen, der erst ganz weich scheint, dann immer härter wird, irgendwann zu schmerzen beginnt, bis man schreien möchte, und am Ende schon Entsetzen auslöst, wenn man nur an ihn denkt. Ging er noch in den Kindergarten oder war er schon Erstklässler? Egal: Eines Nachts erwachte er mit der Vorahnung von etwas Peinigendem, AbstoÃendem, das wie statische Elektrizität in der Luft lag und von allen Seiten auf ihn einstürmte. DrauÃen dräute der Sommer, heià und menschenleer; Christo aber hatte einen Ozongeruch in der Nase, der kommende Stürme verhieÃ, entfesselt und zerstörerisch, der Ãngste weckte. Seine Unruhe steigerte sich zu solcher Panik, dass er am liebsten geweint hätte; er nahm sich aber zusammen, denn genau in diesem Augenblick hörte er die Stimmen seiner Eltern, deren Schlafzimmer Wand an Wand mit dem seinen lag. Diese Stimmen, obwohl flüsternd und verhalten, drangen durch die Wand wie ein Kratzen mit dem Fingernagel, und das machte sie noch beklemmender.
Seine Mutter hielt inne, um Atem zu holen, um auszuruhen, oder weil sie in den Mahlstrom einer alles verschlingenden Erschöpfung geraten war, die etwas von einer rückhaltlosen Beichte an sich hatte, ja, wenn er ganz still lauschte und den Atem anhielt, erreichte ihn sogar das Signal, dass es sie fortgerissen hatte bis zur vollen Verzweiflung, bis zum Ende ihres Lebens .
»Noch einmal ganz von vorn«, sagte sein Vater herrisch, aber so, als habe ein Wirbelsturm sein Inneres verwüstet.
»Alex, nicht doch ⦠Wir wecken das Kind noch auf!«
»Christo schläft!«
»Christo ist kein Baby mehr, er versteht alles.«
»Na los, du Schlampe, noch einmal ganz von vorn!«
In dieser Nacht konnte Christo nicht mehr einschlafen, denn seine Mutter sprach mit der belegten Stimme eines Menschen, der schuldig war und von Gott Vergebung für eine an sich unverzeihliche Sünde erflehen musste. Dabei drangen nur ihre Seufzer zu ihm und die Unversöhnlichkeit seines Vaters; es stahl sich aber auch eine verzehrende Lüsternheit hinein, die selbst in
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