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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Schreibtisch wie eine Schaufensterpuppe und bewegte sich auch nicht sehr viel mehr. Das Blinklicht des Diensttelefons, das Tscholev vermutlich direkt so vom ehemaligen Bezirkssekretär übernommen hatte, ging so schnell an und aus, dass man beim Hinschauen ganz nervös wurde.
    Â»Ah, Marijkin«, begrüßte die Sekretärin ihn lau, »Herr Tscholev ist leider beschäftigt. Er befindet sich in einer dringenden Arbeitsbesprechung mit dem Stab!« Auch diesmal ergötzte sie sich an ihrer business-gerechten Ausdrucksweise, um schließlich ihren toupierten Blondschopf zu schütteln, als spräche sie mit einem armen Verwandten. Entsprechend schraubte sie die Höflichkeitsform etwas herunter: »Wenn du willst, schnapp draußen so lange was Luft. Oder, wenn du nix zu erledigen hast, nimm dir ’n Kaffee oder ’nen Whisky. Da drüben haste auch die Zeitungen von heute.«
    In Tscholevs Büro gaben sich die Besucher die Klinke in die Hand. Einige der Herrschaften kamen mit Anzug und Krawatte. Krum kannte sie gut: Sie hatten bei der Widiner Komsomolzenorganisation gearbeitet oder bei der Volksmiliz. Andere gehörten sichtlich zur sozialen Unterschicht, waren unrasiert, schlecht gekleidet, mit blutunterlaufenen Augen. Auch zwei örtliche Zigeunerbarone erkannte er. Alle aber hatten eines gemeinsam: Sie taten ungemein wichtig und schauten überheblich auf ihn herab, vielleicht wegen der ausgebeulten Taschen oder Beutel, mit denen sie das Büro betraten oder verließen. Gegen zwölf Uhr war schließlich »die Kirch’ aus«, wie der große Boss, wie Pawel selbst das Ende seiner Besuchszeit nannte. Sein Büro leerte sich, und er schaute Krum aus nicht minder leeren Augen an. Es dauerte eine Weile, bis er ihn erkannte, dann grinste er.
    Â»Tschuldige, Kleiner, aber du siehst, hier wird gearbeitet. Bin entschlossen, mein Fach mit Auszeichnung abzuschließen und Held der kapitalistischen Arbeit zu werden, hehe. Worum geht’s, Bruderherz?«
    Krum Krumov bekam trockene Lippen, weil er auf einmal das Gefühl nicht loswurde, der kommende Held der kapitalistischen Arbeit wolle ihn gar nicht bezahlen, sondern habe ihn nur hergerufen, um sich über ihn lustig zu machen und sich an seiner Macht zu delektieren. Er lachte auch wirklich, aber dann sagte er:
    Â»Ach ja, natürlich – die Taler!«
    Flink umrundete er seinen Schreibtisch und öffnete den schmalen, hohen Schrank dahinter. Krum wurde flau, als er sah, dass alle Fächer vollgestopft waren mit Geldscheinbündeln, aber nicht akkurat und wohlgeordnet, sondern so, als sammle sein ehemaliger Mitschüler dort das Altpapier vor der Abholung. Tscholev nahm ein Bündel mit druckfrischen Zwanzig-Leva-Scheinen heraus, roch einmal daran und warf es Krum hin, als sei es ein Urlaubsprospekt für die Seychellen. Dann winkte er mit einer Pranke hinter sich Richtung Geldschrank und erläuterte dem sprachlosen Krum:
    Â»Sieh dir mal diese Sauerei an. Letzte Woche hatte ich vor lauter Arbeit keine Zeit, da mal sauberzumachen, und am Wochenende haben die Banken zu.«
    Nach dieser befriedigenden Analyse der derzeitigen Geschäftslage räkelte er sich, stolzierte zur Sitzgruppe mit den Ledersesseln und goss großzügig von seinem »12 years old« ein, ohne es für nötig zu halten, vorher den Schrank mit den Unsummen Bargeld zu schließen. Es musste ihm ein unglaubliches Vergnügen bereiten, zuzusehen, wie Krum einem Hypnotisierten gleich auf dieses bulgarische Provinzweltwunder starrte.
    Â»Genügt dir das so?«, nickte Tscholev in Richtung des mit einem einfachen Haushaltsgummi zusammengefassten Bündels.
    Â»Das hab ich im Landmaschinenwerk Russe in einem halben Jahr bekommen«, stotterte Krum.
    Â»Hör zu, du Opfer, wenn ich’s mir recht überlege … Könnte gut sein, dass ich mal einen Maschinenbau-Ingenieur brauche. Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen, aber vielleicht kauf ich ja mal eine Fabrik, die Herrenkonfektionsfabrik zum Beispiel. Willst du bei mir schon mal in der Kinderkrippe anfangen?«
    Â»N-nein«, antwortete Krum wie unter Schock.
    Â»Wusst’ ich’s doch: arm, aber anständig! In Dreck und Müll leben, aber unbestechlich sein!«
    Tscholev kippte seinen Whisky in einem Zug herunter und hielt Krum, der schon fast an der Tür war, im Befehlston zurück:
    Â»Such die drei besten Drehbänke aus, die hab

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