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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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ich dem Hamster versprochen, weil … dem Guten sein Herr Papa ist Chef der Zolldirektion. Die Zöllner sind jetzt ’ne wichtige Berufsgruppe, musst du wissen, Schlüsselfiguren im ganz großen Spiel, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Â»Nein«, antwortete Krum errötend.
    Â»Nein, nein, aber ja! Tu doch nicht so unbedarft, Kleiner.«
    Als seine Mutter den Haufen raschelnder Banknoten auf dem heimischen Esstisch ausgebreitet sah, erschrak sie so sehr, dass sie sich bekreuzigte und instinktiv die Vorhänge im Wohn-Esszimmer zuzog. Die druckfrischen Zwanzig-Leva-Scheine waren noch so rutschig und Krum so nervös, dass er eine geschlagene halbe Stunde brauchte, bis er sie richtig durchgezählt hatte. Pawel Tscholev hatte wohl wirklich keine Zeit gehabt, es mit dem Bündeln und Zählen so genau zu nehmen, sondern nur Pi mal Daumen geschätzt, denn statt der vereinbarten hundert waren es einhundertundsiebzehn Scheine.
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    Â»Wo hast du dich denn die ganze Zeit versteckt, Weltschev? Na komm, mach’s dir bequem«, bot ihm der Chef mit jener gefährlichen Liebenswürdigkeit einen Platz an, die Jordan – als gebranntes Kind – gelernt hatte, mit einem Minuszeichen zu versehen. Er blieb also besser stehen. Vermutlich hatte sein Redaktionsleiter gerade wieder heimlich genascht, denn er leckte sich noch genüsslich die Lippen, seufzte und strich sich über sein schütteres Haupthaar. Es war, als kosteten diese schweren Umbruchjahre nach der Wende Gospodinov den letzten Haarschmuck. Schon in den Jahren der Perestrojka waren ihm ganze Haarbüschel ausgefallen, und zwar nicht in der üblichen Weise, beginnend mit Geheimratsecken, und dann am Hinterkopf oder über die Kopfmitte, sondern es entstanden überall kreisrunde Löcher wie bei schweren Mangelerscheinungen oder einer Stoffwechselstörung. Anfangs ließ er sich über Beziehungen ein Wundermittel aus Ungarn kommen. Dann rieb er sich Knoblauch in die Kopfhaut ein, bis sein ganzes Büro nach Dorfkneipe stank. Als auch dies nicht half, wechselte er zu einer Tinktur, die alles Bisherige toppte und durchdringend nach Urin roch. Das hinderte Gospodinov jedoch nicht daran, auf die lawinenartig über das Land hereinbrechenden Veränderungen mit seiner erhabenen Fähigkeit zu reagieren, abzuwarten und Tee zu trinken. Es mochte sein, dass er sich in seiner Fixierung auf den eigenen Haarausfall ein Alibi verschaffte, um seine Unsicherheit zu verschleiern und seinen Abscheu vor dieser heraufziehenden, vieldeutigen Welt zu kaschieren und »für sie und auch sonst niemanden zu sprechen« zu sein.
    Wie in allen anderen Institutionen zu jener Zeit auch tobte im Fernsehen zwischen den »demokratischen« Anhängern der UDK und den »Rückständigen« von der BSP ein Kampf auf Leben und Tod, mit dem Akzent auf Letzterem. Bereits zum zweiten Mal war der Generaldirektor abgesägt worden, jeweils mitsamt seiner ganzen Führungsriege. Nur Gospodinov war still und unbemerkt auf seinem Posten klebengeblieben. Mit dem Gespür des ängstlichen Menschen roch er stets rechtzeitig, wenn Gefahr heraufzog, und verharrte reglos, bis sie vorüber war. Als der Klotz der Parteizentrale in Sofia in Brand gesteckt wurde, war er zufällig gerade im Urlaub, und als Boris Jelzin einen Umsturzversuch abwandte und seine Faust mit erhobenem Mittelfinger aus einer Panzerluke reckte, lag er gerade grippekrank zu Hause im Bett. Gleichzeitig gelang es ihm, mit seinem phantastischen Riecher sämtliche Sendungen in seinem Ressort zu relaunchen und sie zu den interessantesten und meistgesehenen im ganzen Programm zu machen. Er tat dies unmerklich, nebenbei, ohne viele Ratschläge zu geben oder sich in den Vordergrund zu spielen; er schätzte einfach richtig ein, welcher seiner Mitarbeiter wozu fähig war, und wies ihm den richtigen Weg.
    Das Tennisspielen hatte er voller Erleichterung aufgegeben. In der jungen bulgarischen Demokratie schaute man tadelnd auf diesen Aristokratensport, und das kam ihm ebenso zupass wie die Tatsache, dass die Mitspieler seiner Pokerrunde verarmt waren und er auch hiervon die Finger lassen konnte. Stattdessen begann er, alte bulgarische Ansichtskarten zu sammeln. Auf denen war die Welt heiter und voller Urlaub; fern und vergilbt, war darauf eine Welt zu sehen, die höchstens Nostalgie, aber keine Angst weckte und ihn durch nichts erschreckte. Einige davon hatte er sich auf

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