Seelenasche
gekauft hatte, der sie daraufhin eiskalt ans Messer geliefert hatte. Als sie von der Richterin, die den Prozess geleitet hatte, eine Erklärung verlangte, blaffte diese sie hochnäsig und mit verächtlichem Augenaufschlag an, die Justiz sei unabhängig und niemand könne Rechenschaft von ihr verlangen. Dann warf sie sich ihren knöchellangen Pelzmantel um und ihr im Gehen noch hin, sie könne das Urteil ja anfechten. Dann bestieg sie ihren funkelnagelneuen BMW, der allein mehr kostete als alle Gehälter zusammengenommen, auf die sie bis zum Erreichen ihres Pensionsalters noch rechnen konnte.
3
Der neuen Regierung der UDK unter Iwan Kostov gelang es, die Inflation zu bändigen, indem sie mit dem IWF einen Währungsrat vereinbarte, der den bulgarischen Lev unter strengen makroökonomischen Auflagen eins zu eins an die Deutsche Mark band. Dadurch wurden wieder die Rahmenbedingungen für so etwas wie normales Wirtschaften geschaffen. Die Menschen schöpften Hoffnung, sie konnten fürs Erste wieder schlafen. Doch dann begann die nächste Privatisierungswelle, und gegen zehn Prozent Trinkgeld vom Schätzwert ging alles, von der Apotheke bis zum Kornspeicher, von den profitablen Sammeltaxilinien Sofias bis zum Werk für Buntmetallverarbeitung, für einen Apfel und ein Ei an Freunde, Bekannte, Verwandte und Parteigenossen. Die Leute begriffen, dass es in der Politik nicht darum ging, ob einer Kommunist war oder sich als Antikommunist gebärdete, sondern darum, durch Wahlversprechen an die Macht zu kommen. Wenn die bisherigen Verfechter von Recht und Ordnung, Demokratie und Gerechtigkeit erst einmal von den Honigtöpfen genascht hatten, wurden sie alsbald genauso unersättliche und raffgierige Halunken wie jene, auf die sie bis gestern geschimpft hatten. Die Interessen der verarmten Mehrheit der Bevölkerung vertraten sie genau so lange, wie sie dazugehörten.
Zum Zeichen des Protestes gegen diese Verhältnisse beschloss Emilia, ihre Frisur und ihren Anwalt zu wechseln. Auf Empfehlung Alexander Weltschevs wandte sie sich an einen gewissen Gogov, der laut dem Vetter ihres Mannes »ein schlichter, unattraktiver, aber absolut unbestechlicher und anständiger Mensch« war. Die Kanzlei Gogovs befand sich ebenfalls in einem Mietshaus auf der Graf-Ignatiev-StraÃe, bestand aber nur aus einem Zimmerchen, von dem aus man einen Blick auf den inneren Leitungsschacht hatte. Eingerichtet war es mit zwei abgewetzten Stühlen, einem altmodischen Schreibtisch und einem vorsintflutlichen Aktenschrank. Es roch nach Wäsche, die schon lange auf der Leine hing, aber einfach nicht trocknen wollte. Die Wände waren dekoriert mit Farbzeichnungen von Singvögeln und zumeist giftigen Waldpilzen sowie einem Plakat der bulgarischen FuÃball-Nationalmannschaft, die 1994 durch einen 2:1-Sieg über Deutschland bis ins Halbfinale der Weltmeisterschaft und in die bulgarischen Geschichtsbücher gekommen war.
Der Mann, dem Emilia nun ihr Anliegen vortrug, war in der Tat unscheinbar bis zur Farblosigkeit. Wenn man ihn ansah, dachte man an Altersinkontinenz. Als einmal die Sirene eines Rettungswagens ertönte, fasste er sich erschrocken an den Jackettknopf. Emilia blieben seine Unsicherheit und Ãngstlichkeit nicht verborgen, aber sie hatte keine Wahl und kein Geld mehr. Alles, was sie in vierzig Jahren gesammelt hatte, befand sich dank Christolkov und Milanov in den Antiquitätengeschäften Sofias.
Bei dem neuen Prozess, den Emilia mit Gogov anstrengte, gab es keine Bombendrohungen mehr im Gericht, und Milanov bekam auch ordnungsgemäà seine Vorladungen. Er hatte nach dem gewonnenen Prozess ein neues Finanzhaus eröffnet, konnte also nicht mehr den Abwesenden spielen. Was er aber konnte, das war, alle Möglichkeiten zu nutzen, die das Prozessrecht ihm bot, um die Verhandlungen zu verschleppen. Mal präsentierten seine Anwälte einen Krankenschein, mal die Bescheinigung eines Neurologen, dass er nervlich nicht belastbar sei, mal befand er sich im Ausland. Richter Momtschev, ein wie aus dem Ei gepellter Grandseigneur mit zehnkarätigem Diamantring am Mittelfinger und den steinernen, aber hellwachen Augen des professionellen Pokerspielers, hörte sich das Plädoyer Gogovs für Emilia mit zynisch gespielter Strenge an, nur um dann mit der Ungerührtheit einer Umwälzpumpe die Verhandlung zu unterbrechen und aufs Frühjahr zu vertagen, dann auf Herbst, dann
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