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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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wieder auf Frühjahr.
    Â»Ja, merken Sie denn nicht, dass die Katz und Maus mit uns spielen«, sagte Emilia händeringend nach jedem frustrierenden Verhandlungstag, wenn sie mit Gogov im Ausschank des Gerichts einen dünnen, geschmacklosen Kaffee trank. »Tun Sie doch endlich etwas, gebieten Sie denen Einhalt!«
    Â»Liebe Frau Weltschev, zum Gesetz, das über allem steht, gehört auch das Verfahrens- und Prozessgesetz. Der Richter ist angehalten, auch die Anträge der Gegenseite zu berücksichtigen, sofern sie rechtmäßig sind. Das können wir nicht anfechten!«
    In diesen Jahren voller Frust und Wut verstarben drei jener alten Schauspielerkollegen, die Emilia enthusiastisch zur Geldeinlage bei Lucky Strike & Co. überredet hatte. Und Theo Sotirov, der Regisseur, dem sie ihre Karriere verdankte, bekam einen Schlaganfall, durch den er rechtsseitig gelähmt war und nicht mehr sprechen konnte. Obwohl eigentlich Theo schuld daran war, dass sie und ihre Kollegen so begierig ihr Geld den Betrügern von Lucky Strike & Co. anvertraut hatten, verkaufte sie eines ihrer letzten Gemälde und brachte das Geld Margarita Lilova, die es ohnmächtig erschrocken annahm, um ihrem Mann Medikamente und einen Rollstuhl kaufen zu können.
    Eines kühlen Oktoberabends traf Emilia zu Hause die ganze »Familienbande« an: Assen, Jordan, Dessislava und sogar ihren plötzlich so erfolgreichen Neffen Christo Alexandrov Weltschev. In dem mittlerweile kahlen, wie ausgeschlachtet wirkenden Wohnzimmer setzten sie sich um eine Flasche Whisky und ein paar Schälchen mit Nüssen, die Christo spendiert hatte, zum Kriegsrat zusammen. Im Fenster starb der Tag stille dahin; das letzte Licht fiel auf Wände, auf denen helle Rechtecke Zeugnis ablegten von Gemälden, die viele Jahre dort gehangen hatten. Emilia spürte sofort: Das hier, das war auch ein Gericht, das Familiengericht. Assen hüstelte verlegen und sagte:
    Â»Wir alle wollen dir helfen, Emilia, genauer gesagt: dich um etwas bitten. Mach endlich Schluss mit diesem aussichtslosen juristischen Tauziehen. Du wirst uns noch krank.«
    Und Jordan ergänzte so rasch wie einer, der dies schon lange loswerden wollte:
    Â»Du hast schon mehr Geld für Anwälte und Prozesskosten verschleudert als diese fünfzehntausend Dollar, derentwegen du die ganze Sache begonnen hast.«
    Â»Ich habe Angst um dich, Mama«, mischte sich nun auch Dessislava ins Gespräch, »muss ich denn vor dir auf die Knie fallen?«
    Christo goss ihr einen Fingerbreit von dem teuren Whisky ins Glas, dann zog er sein Lederköfferchen zu sich heran, in dem neben Dokumenten und Schriftstücken auch ein paar Geldscheinbündel lagen, warf diese auf den Tisch und sagte:
    Â»Tante Emilia … das sind fünfzehntausend Dollar. Bitte gestatte mir das Vergnügen, sie dir zu schenken.«
    Die goldbraune Flüssigkeit rann Emilias Kehle hinab. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Sie lächelte matt, ohne ihre Frustration, oder besser gesagt, ihre Verzweiflung darüber, wie ihre juristischen Anstrengungen Jahr um Jahr ins Leere liefen, noch zu verbergen, und da gelang es ihr einfach: sich schonungs- und rückhaltlos selbst zu spielen. Verstand denn keiner von denen, die ihr da gut zuredeten, dass es mit der schwer malträtierten Gerechtigkeit ein für alle Mal aus war, wenn sie jetzt aufgab? Wie sollte sie diesen lieben und wohlmeinenden Menschen erklären, dass dieser Prozess, über den die Jahre ihres Alters hingingen, sich längst in ein Drama verwandelt hatte, in dem sie um den Sinn ihres Lebens spielte?
    Â»Lass es einfach sein, meine Liebe«, wiederholte Assen und zog vor lauter Unbehagen sein Taschentuch hervor. »Du baust darauf, dass das Land, in dem wir leben, eine Demokratie ist – aber das ist es nicht; es ist ein Selbstbedienungsladen, in dem das Recht des Stärkeren, des Reicheren und dessen mit den besten Verbindungen gilt. In einem solchen Land gibt es keine Gerechtigkeit.«
    Â»Das weiß ich«, stimmte sie ihrem Mann unumwunden zu. »Ich weiß, dass in Bulgarien alles bloß Willkür und Anarchie ist, und Rechtsstaat und Demokratie bloß Potemkin’sche Dörfer, aber … wie soll ich mich ausdrücken. Ich habe trotz allem heute das Gefühl, für mein Recht kämpfen zu können – früher nicht. Es mag heute alles sehr chaotisch, korrupt und

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