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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Schlafzimmer. Die Einrichtung seiner Kanzlei bestand aus modernsten Büromöbeln, die Seriosität, Prosperität und Erfolg suggerierten. An den Wänden hingen abstrakte Bilder, die ebenfalls ihre Farbtupfer zu der Atmosphäre von Optimismus, Glaube an den Erfolg und nicht zuletzt an die finanziellen Möglichkeiten der Mandanten beitrugen. Es roch noch nach frisch lackiertem Parkett. Doch all dies konnte den Mief eines Lebens im permanenten Wartestand, an dem die Motten nagten, auch nicht vertreiben. Außerdem drang durch die Fenster nur schwach das farblose Licht des Hinterhofs, der nach allen Seiten von Mietshäusern umschlossen war, sodass es ohne eingeschaltete Beleuchtung ständig düster in diesen Räumen war.
    Â»Ja, Frau Weltscheva, was Ihren Fall betrifft, so möchte ich Sie vorwarnen: Demokratie schafft die Rahmenbedingungen für anständige Geschäfte, aber immer auch Schlupflöcher für Nepper, Schlepper und Bauernfänger!« Christolkov schob ihr galant den Plastikbecher mit dem Kaffee zu. »Ich möchte Sie nicht mit Versprechungen überschütten und Ihnen keine Illusionen machen: Der Kampf wird schwer und unerbittlich sein, zumal wir uns am Rande der Legalität bewegen. Um den Prozess überhaupt gewinnen zu können, braucht es drei Dinge: Nerven, Geduld und … Geld.« Er fasste sich ans Ohrläppchen, machte eine Bedeutungspause und seufzte wie ein Alkoholiker, der seit gestern keinen Schluck getrunken hatte. »Ich würde sogar sagen: Nerven wie Drahtseile, Engelsgeduld und … viel Geld.«
    Â»Ich bin auf alles gefasst, Herr Christolkov. Schreiten Sie zur Tat!«, erwiderte Emilia, ebenso pathetisch wie naiv.
2
    Die erste Gerichtsverhandlung am Bezirksgericht wurde für den März anberaumt. Die Frühlingssonne stimmte einen optimistisch, der Wind zerstrobelte gutgelaunt die Zweige der Bäume, an denen sich grüne Knospen zeigten. Emilia lief unzählige Male zwischen Kleiderschrank und Toilettentisch hin und her, drehte sich vor dem Spiegel, zog sich wieder und wieder um. Schließlich beließ sie es bei einem schlicht geschnittenen, dezent taillierten Kostüm in sattem Lila, das sie seriös und bescheiden wirken ließ. Dessislava begleitete sie zur Tür und sprengte abergläubisch Wasser aus dem Kupferkesselchen vor ihrer Mutter auf die Treppenstufen hin: »Auf guten Weg, möge es laufen wie Wasser.« Emilia wäre auf dem Wasserfilm dieses guten Wunsches beinahe ausgerutscht, schenkte dem aber keine weitere Beachtung.
    Bis zum Bezirksgericht waren es von ihrer Wohnung nur zehn Minuten, daher ging sie zu Fuß. Die Sonne pflasterte ihren Weg mit festlichem Licht. Sie wiederholte noch einmal die Antworten, die sie vorbereitet hatte, denn im Gerichtssaal erwartete sie eine neue, aufregende Rolle! Dieses Mal würde sie sich selbst spielen, schonungslos bis zur Selbstverleugnung. Sie wollte restlos aufrichtig sein und flammend bekennen, was sie zu bekennen hatte, dann aber auch um Milde ersuchen! Ha: Milde! Wie dramatisch dieses Wort das Herz jener erreichen würde, die durch ihre Gier und ihren Leichtsinn in den Ruin getrieben worden waren, allesamt Darsteller wie sie, die das Leben von Generationen schöner und vor allem erträglicher gemacht hatten. Obwohl Emilia die siebzig schon überschritten hatte, drehten sich noch immer Männer nach ihr um. Ihre Seele triumphierte, ihr Herz war erfüllt von Verständnis und Wohlwollen gegenüber dieser sündigen, aber wunderbaren Welt, ihr Geist von stiller Versöhnlichkeit. So also ging Emilia ihrem Gericht entgegen, wie man zur Beichte in die Kirche geht, erfüllt von Reue und beseelt vom Wunsch, sich durch Empfangen der verdienten Strafe von Selbstmitleid und Schuldgefühlen zu befreien.
    Sie kam fünfzehn Minuten vor ihrem Termin am Gerichtsgebäude an. Das Gebäude war schön mit Ziegeln verkleidet, die von Regen, Wind und Wetter verfärbt waren und in den Fugen Moos angesetzt hatten. Gerade dies gab dem Gebäude die Würde dessen, der allen Unbilden der Zeit im Namen von Recht und Gesetz standhält. Vor dem Eingang drängelte sich eine Hundertschaft von Leuten wie bei einer Demonstration. Am schmiedeeisernen Portal aber verscheuchten zwei Ordnungshüter mit finsteren Mienen die Einlass begehrenden Bürger. In der Menge tauchte kurz der Kopf jenes Herrn Milanov von Lucky Strike & Co. auf, dessentwegen sie

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