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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Zusammenbrechende Bankhäuser, drohender Staatsbankrott und Hyperinflation, und die sozialistische Regierung Widenov sah einfach zu. Als der US-Dollar auf einen Kurs von über 2400 Leva gestiegen war, gingen die Leute endlich auf die Straße. Die Plätze füllten sich wieder mit Drohung, Wut und Empörung. Schließlich belagerten sie das Parlament, schlugen mit Kochlöffeln auf leere Töpfe und Pfannen – ein alles durchdringender Protestlaut hungernder Menschen. Drinnen machten sich die gewählten Volksvertreter mit dem Absingen von Revolutionsliedern, mit denen sie groß geworden waren, Mut. Bald schlossen sich auch die Studenten dem Protest an, versammelten sich in Massen vor ihren Universitäten und begannen – da es bitterkalt war – auf der Stelle zu hüpfen. Dabei wurde der Protestslogan geboren: »Nur wer rot ist, hüpft nicht mit! Nur wer rot ist, hüpft nicht mit!« Das brodelte, schäumte, wogte und wallte – das sah aus, als hätten sich die Flöhe aller Länder vereinigt. Wenn sie in ihre Nähe kam, begann auch Emilia zu hüpfen, denn die Kaufkraft ihrer Rente betrug nur noch zwölf Dollar. Ohne es Assen zu gestehen, wählte sie bei den Parlamentswahlen die Union der demokratischen Kräfte.
    Im Frühjahr wurde ihr Prozess erneut vertagt, wieder um ein halbes Jahr, auf Oktober diesmal. Als der herannahte, gab es keinen Bombenalarm, dafür erschien Milanov nicht vor Gericht. Es stellte sich heraus, dass er die Vorladung nicht erhalten hatte. Emilia hatte in der Zwischenzeit ihre Kollektion von Silberspangen verkauft, filigrane Goldschmiedearbeiten mit Gravuren und Perlmutt. Nun waren ihre Uhren an der Reihe. Sie hatte das Gefühl, sie mache Nostalgie-Diät, wische energisch Staub – den alter Zeiten. Doch als der Antiquar mit seinen Händen begierig ihre Uhren unter der ins Auge gekniffenen Lupe befingerte, hatte sie das Gefühl, er betatsche sie, wühle in ihrer ungechützten, nackten Seele herum, allem, was einmal ihr Leben gewesen war.
    Am 15. Oktober ergoss sich das Licht bleiern auf die Erde. Wenig überraschend fand der Gerichtsbote auch diesmal Herrn Milanov nicht an seiner Wohnadresse vor, und da die Vorladung nicht ausgehändigt werden konnte, wurde die Verhandlung erneut vertagt, diesmal auf Ende März des folgenden Jahres.
    Â»Wissen Sie was, Frau Weltscheva«, schlug Christolkov ihr voll freudiger Erregung über seinen Einfall vor und zupfte an seinem rechten Ohrläppchen, »wir setzen den Mann auf die nationale Fahndungsliste – in die Staatszeitung … Dem werden wir zeigen, was eine Harke ist! Aber wir brauchen dazu …«
    Â»Nerven wie Drahtseile, eine Engelsgeduld und – viel Geld«, seufzte Emilia Christolkovs so lukrative Beschwörungsformel zu Ende.
    Im Januar des folgenden Jahres hörte sie, dass sogar Pepa Koitscheva ihr ganzer Sexappeal nichts genutzt hatte: Sie musste ihre Heizung plombieren lassen, weil sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Doch ihr Körper war der eisigen Kälte nicht gewachsen. Sie fing sich eine Bronchitis ein, die in eine Lungenentzündung überging, die sie nicht rechtzeitig behandelte, und so verließ sie diese Welt voller Kälte, Zynismus und kurzem Verstand. Emilia weinte sehr um ihre junge Kollegin und verkaufte schließlich zwei ihrer Gemälde, damit Pepa beerdigt werden konnte.
    Frühmorgens am 4. April meldete sich Christolkov telefonisch bei ihr, um ihr mitzuteilen, dass Milanov wieder nicht ordnungsgemäß hatte vorgeladen werden können, und dass es keinen Sinn habe, dass sie Zeit und Nerven verlor und zum Gericht ging. Nur leider stellte sich später heraus, dass Milanov durchaus vor Gericht erschienen war und in ihrer Abwesenheit die Verhandlung gewonnen hatte. Der Angeklagte hatte nachweisen können, dass es in den Verträgen mit seinen Kunden eine zwar kleine und unscheinbare, aber rechtsgültige Klausel gab, die den Kunden von Lucky Strike & Co. im Falle der Auflösung der Firma keinerlei Regressansprüche ließ. Die hatten natürlich weder sie noch die anderen Schafsköpfe aus der Schauspielzunft gelesen. Nachdem Christolkov ihr diese Sachlage mit der Stimme eines Trauerredners mitgeteilt hatte, knallte Emilia ihm einfach den Hörer hin. So dumm war sie auch wieder nicht, dass sie nicht verstand, dass Milanov nicht nur das Gericht, sondern auch ihren eigenen Anwalt

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