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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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fragte er unsicher.
    Â»Wie sieht es aus: Bist du der Demokratie schon auf die Pelle gerückt?«
    Â»Hast du Lust, mit mir in ein schönes Restaurant zu gehen, Dess? Ist doch Sonntag heute.«
    Drei Fragen ohne Antwort – ganz wie im Hamlet . Ihr Vater setzte sich neben sie, einen Duft nach Winter verströmend, nach Hausbrand und Schnee. Dessislava nahm sich eine Zigarette vom Beistelltisch und entzündete sie vor seinen Augen. Das hatte sie noch nie getan. Ihr Vater war sichtlich schockiert. Doch er konnte nichts mehr sagen, hatte keine Macht mehr in diesem Haus, war nur noch Gast, der seine Kinder, Bücher und Erinnerungen besuchen kam. Vielleicht war er auch nur gekommen, um einen vergessenen Pyjama zu holen, oder seine Einsamkeit.
    Â»Ich hab gehört, dass du deiner Mutter das schönste Kleid zerschnitten hast. Das ist aber nicht schön …« Er sprach mit ihr wie mit einem Kind. Das gab ihr einen Stich, und augenblicklich kehrte ihr Wunsch wieder, zu lügen!
    Â»Ihr trefft euch also noch?«
    Â»Aber natürlich – wenn wir Zeit haben … Wir trennen uns zwar, aber das sollte uns doch nicht hindern, gegenseitige Wertschätzung zu bewahren.«
    Â»Und – habt ihr häufiger Zeit?« Nein, wie er ihr dieses leere und theatralische Wort »Wertschätzung« hingepfeffert hatte.
    Â»Manchmal recht häufig, fast wie früher.«
    Â»Dann ist mir nicht klar, warum ihr euch scheiden lassen müsst. Wem nützt dieser ganze Zirkus? Ihr lebt weiterhin zusammen, seht euch nur, wenn ihr beide nicht arbeitet. Jordan und ich stören euch schon nicht.«
    Â»Du weißt, deine Mutter wollte es so. Sie braucht ihre Unabhängigkeit. Sie empfindet meine Nähe als gewaltsam, und das versetzt sie in Rechtfertigungsstress.«
    Â»Wenn ich mich recht erinnere, konnte Mama sich über einen Mangel an Freiheit nie beklagen, ganz im Gegenteil. Dieses Gefühl von Unfreiheit ist doch wie Keine-Lust-zu-nix-Haben, damit kannst du alles rechtfertigen.«
    Â»Sie bestand darauf, mit ihrem Leben allein fertigzuwerden. Sie will sich ändern, und dafür braucht sie viel Selbstbewusstsein und …« Ihr Vater suchte einen Moment nach dem passenden Ausdruck. »… Freiraum für sich.«
    Â»Quatsch! Sie weiß bloß nicht, was sie will.«
    Â»Emilia leidet auch … vor allem, wenn jemand ihre Kleider mit der Rasierklinge aufschlitzt.«
    Sein Edelmut verbitterte sie. Mit einem solchen Mann, dachte sie rachsüchtig, konnte eine Frau wirklich durchdrehen. Der war ja unfähig zur kleinsten Anschuldigung! Wie sollte er ihr da verzeihen?
    Â»Nicht mit der Rasierklinge. Mit Omas Stoffschere. Ich hab im Grunde nur Oma Jonka geholfen, weil sie selber es ja nicht mehr tun konnte.«
    Jetzt steckte sich auch ihr Vater eine Zigarette an und starrte auf die silberbeschlagene Steinschlosspistole mit dem Perlmuttgriff an der Wand. Die kannte er noch nicht. Wirkte sie vielleicht deshalb so bedrohlich? Ständig war etwas verändert, wenn er in sein altes Zuhause kam. Er schaltete noch nicht, dass es von nun an »ehemaliges Zuhause« heißen musste. »Der dramatische Konflikt«, so hatte Sotirov doziert, »beginnt immer mit einer plötzlichen Veränderung, sei es in der Umgebung des Helden oder in ihm selbst. Diesem gelingt es nicht, sich an diese Veränderung anzupassen, und so beginnt er, dagegen anzukämpfen, Widerstand zu leisten.«
    Â»Wir könnten ins Panorama-Restaurant draußen hinter Simeonowo gehen, da machen sie die schönsten Rouladen. Eine neue Sängerin gibt es auch.«
    Â»Hör zu, Papa«, sagte Dessislava und spürte, wie ihre Augen feucht wurden, »ich möchte, dass du mal zehn Minuten nichts sagst!«
    Langsam und ausdruckslos erzählte sie ihm alles, was sie am Vortag von Simeon unter dieser gruseligen Schädellampe gehört hatte. Wie die Rosen einen flammenden Schmerz erzeugt hätten, wie er den Schatten seines Vaters gesehen und sich im Mondlicht geduckt hätte, wie der Bruchziegel durch die Luft gepfiffen war und mit dumpfem Laut in seinem Kreuz eingeschlagen hatte, was gut mit einer Querschnittslähmung hätte enden können. Dessislava ersparte ihrem Vater nicht die kleinste Einzelheit. Sie hatte einfach nicht die Kraft, Nachsicht zu üben. Durch den Zigarettenrauch sah sie, wie das Gesicht ihres Vaters bleich und kalt wurde.
    Â»Ich ziehe aber keine Rosen,

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