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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Dess«, sagte er schließlich. Er hatte alles begriffen, konnte aber nichts darauf sagen.
    Â»Du hast mich nicht verstanden«, lächelte Dessislava müde. »Nach der Scheidung möchte ich bei dir bleiben. Wenn nämlich einer von euch beiden mich unwissentlich mit seinem blöden Ziegel verletzt – dir kann ich das verzeihen … Na gut, wenn du jetzt noch willst, kannst du mir gern ein, zwei Rouladen, ein Panorama und eine Sängerin spendieren. Ich hab irgendwie den ganzen Nachmittag auf jemanden gewartet. Sieh mal, bin sogar schon ausgehfertig angezogen.«
9
    Viktoria Simeonova hatte Lockenwickler im Haar und trug einen türkisfarbenen Hausmantel aus dem Intershop. Ihre Wangen glühten, als schäme sie sich, weil sie etwas Kompromittierendes mitbekommen hatte. Vor einer Stunde war ihre Kosmetikerin gegangen. Sie hatte die teure Gesichtsmaske abgewaschen, aber auf der Stirn, um die Augen und am Hals ließen sich die Zeichen der Zeit selbst dann nicht beseitigen, wenn man sich so dem Müßiggang hingab wie sie.
    Wenn ihr Mann herausbekam, dass sie diese Hellseherin aus dem Dorf German in ihre Privatwohnung gelassen hatte, würde er sie lynchen! Die Frau kam an in Volkstracht und mit in der Tat höchst seltsamen Augen, eins wasserblau, eins in der Farbe einer stark gerösteten Kaffeebohne. Sie stellte sich als Zanka vor, war Halbzigeunerin mit dunkler Haut und hörte sich wegen ihrer Prothese an, als würde sie lispeln. Während sie da war und Emilia zunächst mit ihrem irdischen, dann mit ihrem himmlischen Auge begutachtete, trank sie eine halbe Flasche Schnaps. Sie band der Schauspielerin einen roten Faden ums Handgelenk, an dem ein getrockneter Marienkäfer baumelte. Die ganze Frau roch nach verschimmelten Kräutern, klammem Keller und Betrug. Vor lauter Schrecken über die Nähe dieser Frau verfiel Emilia in einen schlafähnlichen Zustand. Die Küche, an sich ganz in Weiß gehalten, schien in Dunkel zu versinken.
    Zanka schmolz das Blei auf der Herdplatte ein, murmelte einige Beschwörungen, streute eine Prise Salmiak darüber und spuckte darauf. Als das Metall aufblitzte, zäh, eigensinnig und wie lebendig, goss sie es in die Keramikschale. Das Wasser zischte auf, das Metall verhärtete sich und nahm die Form einer plattgedrückten Amöbe an. In ihrem Schopendialekt und einem altertümlichen Geschichtenerzähltempus wahrsagte Zanka ihr, dass ihr Mann sich mit intelligenten Maschinen befasse und ein großer Weiberheld sei und sie zwei Söhne habe, Soldaten, mit deren zukünftigen Frauen sie auf Kriegsfuß stehen würde; die gute Nachricht aber sei, dass sie eine Erbschaft machen und viel Geld bekommen würde.
    Nun gut, Emilias Mann war Jura-Professor, und sie hatte nicht zwei Söhne, sondern eine Tochter. Blieb die Aussicht auf das große Geld. Aber dafür, dass sie so dumm war, wissen zu wollen, was sie erwartete, musste sie hier und heute erst einmal zwanzig Leva hinblättern. Viktoria holte ein getragenes Hemd ihres Mannes heraus, das die Wahrsagerin in ihrem bunten Beutel verstaute. Die beiden Frauen hatten plötzlich das Gefühl, als habe die Frau etwas gestohlen. Als sie gegangen war, blieb feuchter Wollgeruch zurück, als sei in der Küche gerade ein Schaf geschoren worden. Die beiden Damen gingen in bedrücktem Schweigen ins Wohnzimmer. Sie waren gereizt und hatten überdies zu viel Kaffee getrunken.
    Â»Ich möchte dich trotzdem etwas fragen«, brachte Viktoria beklommen heraus, »und zwar, warum du dich eigentlich scheiden lassen willst? Im Vergleich zu meinem Peter, der eifersüchtig ist bis dorthinaus, ist dein Assen doch geradezu ein englischer Lord. Du bist eine berühmte Schauspielerin! Such dir doch einen Liebhaber, wenn du die Nase so voll hast! Warum, zum Teufel, gleich die Scheidung?«
    Emilia richtete ihr Haar und überlegte. Ja, was sollte sie darauf antworten? Sie hatte das Gefühl, sich die Frage selbst gestellt zu haben. Der Kopf tat ihr weh vor Angst.
    Â»Ich weiß nicht«, sagte sie ehrlich, »ich weiß es wirklich nicht. Ich spüre einfach, dass ich es tun muss.«
10
    Voller Enttäuschung und in einem Zustand aufgekratzter Ermüdung verließ sie das Haus der Simeonovs. Ihre Zukunft lag also auch weiterhin schemenhaft hinter dem Nebel, der die Gebäude ringsum auf dem Russischen Boulevard einhüllte. Heute war Sonntag, sie hatte keine

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