Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
sah die Lilova geradezu erbärmlich aus neben den frischen, prachtvollen Blumen. Das war Emilias kleine Rache, und es war ihr in diesen Momenten ganz egal, dass ein Mensch letztlich immer an sich selbst Rache nahm! Das war etwas, was Assen seit langem wusste. Ja, sagte sich Emilia, ich lasse mich von ihm scheiden, um mich selbst zu bestrafen! Wenn ich mich wirklich tief verletze, dann werde ich mir auch vergeben können.
    Sie trank die brennende Flüssigkeit aus und zahlte. Eine verrückte Idee streunte durch ihren Kopf, amorph und schmutzig wie der Sofioter Nebel zwar, aber höchst aufmunternd. Am Parlament nahm sie ein Taxi, obwohl sie zweihundert Meter weiter, am Park hinter der Volksbibliothek, schon wieder aussteigen würde. Das neue Mietshaus auf der Schipkastraße roch noch nach Latexfarbe und Reinlichkeit. Der Aufzug beförderte sie lautlos in die dritte Etage. Wie sie beim Klingeln so auf das bekannte Messingschildchen an der Tür starrte, glich sie vermutlich einer Verrückten.
    Â»Herrje, Emilia, was ist denn mit dir los?« Margaritas trocken-kränkliches Gesicht füllte sich mit dem Ausdruck der Verblüffung und des Erschreckens. Auf einmal gewannen ihre Züge eine Art dramatischer Schönheit. Sie trug einen aus der Form gegangenen Hausmantel. Es gibt Menschen, denen einfach nichts steht, egal, was sie anziehen, und die Lilova gehörte zu ihnen. Sportpullover hingen ihr in den Schultern, Abendkleider enthüllten nur ihre Magerkeit und schlechte Haltung. Ihre Brüste waren schlaff, ihr Hals zu lang und zu dünn, ihr Haar farblos. Das Einzige, was ihr stand, war die Bühne! Was hat Sotirov bloß an der gefunden, dass er sie geheiratet hat?, fragte Emilia sich hämisch, während sie versuchte, ein Lächeln aufzusetzen; aber die Antwort wusste sie nur allzu gut!
    Â»Ist der Allmächtige nicht zu Hause?«
    Â»Heute ist Rektorenkonferenz. Komm rein. Du siehst ja entsetzlich aus.«
    Â»Bin betrunken … War bei einer Wahrsagerin, und die hat mir alles auf den Kopf zugesagt.«
    Margarita nahm ihr den Mantel ab wie einem Kind, das heulend vom Spielen zurückkommt. Beim Betreten des Wohnzimmers schlug ihr Helle entgegen. Es war weiß gestrichen und mit hellen Fichtenholzmöbeln eingerichtet; sogar die Vorhänge waren weiß. Die Gastgeberin holte einen Whisky aus der Schrankbar, goss ihnen je zwei Fingerbreit ein und brachte aus der Küche eine Kanne Wasser. Sie kam einfach nicht drauf, dass jemand, der etwas auf sich hielt, zum Whisky unbedingt Eis servierte. Margarita würde nie zu einer Wahrsagerin gehen, ihr genügte das Theater. Sie würde auch nie auf die Idee kommen, sich scheiden zu lassen, sondern ertrug geduldig die Menschen um sich – und Sotirov war, sosehr er auch oft einer rasenden Wildsau glich, ja ebenfalls ein Mensch. Die beiden Frauen schauten sich über den schmiedeeisernen Tisch hinweg an, als spielten sie eine Szene zusammen. Emilia kamen die Tränen, vermutlich vom vielen Alkohol, aber sie begann nicht zu schluchzen.
    Â»Margo«, sagte sie zu ihrer eigenen Überraschung, »bitte tritt mir diese verdammte Rolle ab, lass mich die Mutter Courage spielen. Ich weiß nicht, warum ich dich darum bitte, aber für mich ist das schrecklich wichtig. Ich weiß, du warst immer besser als ich, und ich erkenne das neidlos an, aber … ich wäre sogar bereit, auf die Knie zu fallen vor dir.«
    Die Stille war ohrenbetäubend. Eine so harte, den Atem verschlagende Stille konnte es nur zwischen Frauen geben.
    Â»Dummes Zeug«, erwiderte Margarita, die sichtlich verlegen war. In ihre ausgeprägten Wangenknochen schoss das Blut.
    Â»Wann, wenn nicht jetzt, kann ich diese Mutter Courage stemmen, zum Teufel, jetzt, wo ich platze vor Courage, wo ich drauf und dran bin, in meiner eigenen Courage abzusaufen.«
    Â»O Gott, du Ärmste!« Margaritas Mitleid war so stark, dass sie gleichsam aus der Rolle fiel und einen gehörigen Schluck von ihrem Whisky nahm. »Ich red noch heute Abend mit Sotirov.« Sie redete von ihrem Mann immer in der dritten Person, so als hätten sie nur für die Dauer einer Vorstellung auf der Bühne geheiratet und wären nach dem letzten Vorhang wieder getrennte Leute. »Ich werde drauf bestehen. Er wird sich schon überzeugen lassen, sei ganz ruhig.«
    Jede versank in ihren eigenen Gedanken, und als sie sich eine Zigarette anzündeten, schien es, als

Weitere Kostenlose Bücher